Der Klimawandel wird zukünftig viele Bereiche unseres Lebens beeinflussen, so zum Beispiel auch die Ausbreitung von zoonotischen Infektionskrankheiten. Damit entstehen neue Herausforderungen für die Wissenschaft, aber auch für den Öffentlichen Gesundheitsdienst (ÖGD). Eine dreiteilige Workshopreihe der Zoonosenplattform in Kooperation mit der Akademie für Öffentliches Gesundheitswesen in Düsseldorf widmet sich daher dem Thema „Klimawandel und Zoonosen“. Im ersten Teil der Reihe wurden die zukünftigen Herausforderungen durch den Klimawandel in Hinblick auf Zoonosen im Allgemeinen thematisiert. Im zweiten Teil stand ein Neuankömmling in Deutschland im Fokus: das stechmückenübertragene West-Nil-Virus.
Einige Zoonosen werden zwischen Tier und Mensch über sogenannte Vektoren übertragen. Diese Vektoren können Arthropoden wie Zecken oder Stechmücken sein. Zu den stechmückenübertragenen Zoonosen zählt auch das West-Nil-Virus. Dieses konnte sich durch die warmen Sommer und Winter in den vergangenen drei Jahren in Deutschland etablieren. Wie kam es dazu? Was bedeutet das für die Gesundheit von Tier und Mensch? Und wie können wir zukünftig mit dieser neuen Zoonose in Deutschland umgehen? Diese und weitere Fragen adressierten Frau Dr. Ute Ziegler, Leiterin des Nationalen Referenzlabors für West- Nil-Virus-Erkrankungen bei Vogel und Pferd am Friedrich-Loeffler-Institut, und Frau Dr. Birte Pantenburg, Mitarbeiterin im Gesundheitsamt in Leipzig, in ihren Vorträgen beim Onlineworkshop am 20. April 2021.
Zugvögel als Transferwirte für eine weltweite Verbreitung
Der Infektionszyklus des West-Nil-Virus spielt sich vorrangig zwischen Stechmücken und Wildvögeln ab. Über Brücken-Vektoren, wirtunspezifische Mückenarten, die an verschiedenen Spezies Blut saugen, kann es zu einer Übertragung des Virus auf eine Vielzahl von Säugetieren kommen. Darunter sind auch sogenannte „Sackgassenwirte“, die sich zwar mit dem Virus infizieren können, es selber aber nicht weitergeben. Hierzu gehören der Mensch und das Pferd, wie Dr. Ziegler im Workshop erörterte. Durch Zugvögel kann sich das Virus über große Distanzen ausbreiten. Das West-Nil-Virus wurde erstmals 1937 in Uganda nachgewiesen. Seit den 1950er findet es sich in Süd-/Südosteuropa. 1999 wurde es dann in die USA eingeschleppt und führte dort innerhalb weniger Jahre zu einer rasanten Ausbreitung über das gesamte Land mit Todesfällen bei Vögeln, Pferden und Menschen.
Ankunft in Deutschland – „Nur eine Frage der Zeit“
Damit sich vektorübertragene Krankheiten an einem Ort etablieren können, bedarf es drei wichtiger Grundvoraussetzungen: das Vorhandensein des Erregers, empfängliche Wirte, und geeignete Umweltbedingungen, wie Frau Dr. Ziegler erklärte. Durch den Klimawandel verändern sich die Umweltbedingungen vielerorts. Nach einem milden Winter und einem besonders warmen Sommer in 2018 kam es zu den ersten West-Nil-Virus Infektionen bei Zoo- und Wildvögeln (12 Fälle) sowie bei Pferden (2 Fälle) in Deutschland. Die schnelle Detektion der ersten Fälle in Deutschland war unter anderem auf das bereits seit 2010 etablierte Wildvogelmonitoring für West-Nil- und Usutu-Virus zurück zu führen. „Uns war klar, dass es nur eine Frage der Zeit sein würde, bis das West-Nil-Virus auch in Deutschland auftreten würde“, sagte Frau Dr. Ziegler. „Aus diesem Grund haben wir bereits frühzeitig das Wildvogelnetzwerk aufgebaut. So konnten wir engmaschig Proben nehmen und frühzeitig eine Einschleppung des Virus detektieren.“ In 2019 konnten durch das Monitoring 112 Fälle bei Vögeln und Pferden gefunden werden. In 2020 waren es weitere 86 Fälle.
Abb.1: Bestätigte Nachweise von West-Nil-Virus-Infektionen bei Vögeln und Pferden im Jahr 2020 in Deutschland; Karte: Friedrich-Loeffler-Institut
Das Endemiegebiet der Infektionen findet sich in Ostdeutschland. Hier erfolgte vermutlich eine Einschleppung über Zugvögel. In den letzten Jahren konnten Vektor und Erreger dann von den hohen Temperaturen profitieren. Laut Frau Dr. Ziegler spreche jedoch nichts gegen eine weitere Ausbreitung innerhalb Deutschlands. „Ich denke eine Ausbreitung in andere Gebiete Deutschlands ist sehr wahrscheinlich“, sagte Frau Dr. Ziegler auf dem Workshop.
Das West-Nil-Virus bei Vögeln und Pferden
Vogelarten in Deutschland sind unterschiedlich empfänglich für das Virus. Während die meisten Wildvögel keine Symptome einer Infektion zeigen sind insbesondere Passeriformes (Sperlingsvögel) sowie Greifvögel und Eulen empfänglich für das Virus und zeigen unterschiedliche, meist unspezifische Symptome bis hin zum Tod. In Gegensatz zu den USA kam es in Deutschland jedoch nicht zu einem massenhaften Vogelsterben durch das West-Nil-Virus. Eine Erklärung hierfür könnte eine Grundimmunität der Zugvögel sein, welche sie in ihren Überwinterungsorten erworben haben könnten, erklärte Frau Dr. Ziegler. Wirtschaftsgeflügel scheint nicht durch das West-Nil-Virus gefährdet zu sein. Frau Dr. Ziegler und ihr Team untersuchen aktuell, inwieweit sich Wirtschaftsgeflügel als Sentinels für die frühe Detektion von West-Nil-Virus in einem Gebiet eignen.
Abb.2: Das West-Nil-Virus wurde erstmalig in Deutschland 2018 bei einem Bartkauz aus einer Voliere bei Halle (Saale) nachgewiesen
Auch Pferde können sich mit dem West-Nil-Virus infizieren. Von den infizierten Tieren zeigen ca. 20-30% Symptome und ungefähr 8% der infizierten Pferde entwickeln schwere neurologische Symptome, die im Tod des Tieres enden können.
Als Überträger des Virus fungiert unter anderem Culex pipiens, auch als gemeine Hausmücke bekannt. Diese Mückenart ist in ganz Deutschland auch in urbanen Regionen verbreitet, was eine Bekämpfung faktisch unmöglich macht. Ein geeigneterer Ansatz für die Prävention von Infektionen bei Pferden ist eine Impfung. Momentan sind drei Impfstoffe für Pferde zugelassen und es wird empfohlen, Pferde in Endemiegebieten vor Beginn der Mückensaison zu impfen.
Für den Menschen gibt es noch keine zugelassenen Impfstoffe, was das West-Nil-Virus auch zu einer Herausförderung für den ÖGD macht, wie Frau Dr. Pantenburg in ihrem Vortrag darlegte. Für den ÖGD sei das West-Nil-Virus sowohl in Hinblick auf die direkte Gefahrenabwehr als auch in Hinblick auf die Prävention relevant.
Das West-Nil-Virus beim Menschen
Menschen können sich über Mückenstiche, Organtransplantationen oder Bluttransfusionen mit dem West-Nil-Virus infizieren. In 80 % der Fälle verläuft eine Infektion symptomlos. Nur etwa 20% entwickeln eine fieberhafte, grippeähnliche Erkrankung, das sogenannte West-Nil-Fieber. Bei ca. 1% der Patienten kommt es zu einer schweren Erkrankung mit neuroinvasivem Verlauf, der tödlich enden kann.
In Deutschland trat die erste nachgewiesene mückenübertragene West-Nil-Virus Infektion beim Menschen 2019 in Leipzig auf. Insgesamt konnten 2019 fünf Fälle beim Menschen dokumentiert werden. 2020 gab es bereits 22 bestätigte Fälle beim Menschen in Deutschland. „In 2021 müssen wir mit weiteren autochthonen Fällen rechnen“, so Frau Dr. Pantenburg. Eine West-Nil-Virus Infektion ist in Deutschland meldepflichtig, in Hinblick auf die hohe Rate an asymptomatisch Infizierten ist die Gefahr einer großen Dunkelziffer bei den Infektionszahlen jedoch hoch. Ein Weg die Seroprävalenz in der Bevölkerung besser abschätzen zu können, ist die Untersuchung von Blutspenden. Diese werden in Endemiegebieten während der Mückensaison (Juni bis September) in Deutschland mittlerweile auf das Virus getestet.
Herausforderungen für den ÖGD
Für den ÖGD ist das Finden von Fällen nicht nur durch die vielen asymptomatischen Verläufe eine Herausforderung, sondern auch durch die teils zeitaufwendige Diagnostik, da es bei einem einfachen Antikörpernachweis im Serum von Patienten zu Kreuzreaktionen mit anderen Flaviviren (durch Infektion oder Impfung) wie dem FSME Virus, dem Gelbfieber-Virus, dem Dengue-Virus oder dem Japanische-Enzephalitis-Virus kommen kann.
Um den Herausforderungen des West-Nil-Virus begegnen zu können, sei eine Sektor-übergreifende Zusammenarbeit von klinischer Humanmedizin, Veterinärmedizin und dem ÖGD im Sinne des One Health-Gedankens unabdingbar, so Frau Dr. Pantenburg. Daraus könne eine anwendungsorientierte, evidenzbasierte Herangehensweise erwachsen, die zukünftig den Umgang mit neuen zoonotischen Erregern in Deutschland verbessere.
Die Pandemie als Chance
„Auch wenn die Coronapandemie momentan sehr viele Ressourcen bindet, die an anderer Stelle fehlen, ist die Pandemie vielleicht auch eine Chance, da sie die Relevanz des Infektionsschutzes in das Bewusstsein von Politik und Gesellschaft bringt und die Vernetzung von ÖGD und Wissenschaft stärkt“, sagte Frau Dr. Pantenburg. Ihr Appell an alle Teilnehmer sich für eine Sektor- übergreifende Zusammenarbeit in der Bekämpfung neuer durch den Klimawandel auftretender Zoonosen in Deutschland einzusetzen, traf auf viel Zuspruch.
Abb. 3: Das One Health Konzept berücksichtigt den Zusammenhang der Gesundheit von Tier, Mensch und Umwelt und ist daher ein notweniger Leitfaden in der Bekämpfung von Zoonosen vor dem Hintergrund des Klimawandels
Der Workshop hat gezeigt, wie wertvoll der Austausch von Human- und Veterinärmedizin, sowie der Austausch von Wissenschaft und ÖGD sein kann. Insbesondere in Hinblick auf neu auftretende Zoonosen, ist ein gemeinsames Vorgehen und der Austausch von Erfahrungen und Wissen ein wichtiger Faktor, um schnell reagieren zu können. Der Klimawandel wird vermutlich in den nächsten Jahren noch weitere Zoonosen nach Deutschland bringen. Umso wichtiger scheint es, jetzt funktionierende Netzwerke für eine Sektor übergreifende Zusammenarbeit aufzubauen.
Text: Dr. Dana Thal
Podcastfolge zum Workshop: