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Up To Date: FSME-Fallzahlen in Deutschland auf Rekordniveau

Up To Date: FSME-Fallzahlen in Deutschland auf Rekordniveau

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Gerhard Dobler
Nationales Konsiliarlabor für FSME
Institut für Mikrobiologie der Bundeswehr, München


In der aktuellen Ausgabe des Epidemiologischen Bulletins (36/2020) meldet das Robert Koch-Institut 527 registrierte Fälle von Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) in Deutschland. Dies bedeutet eine Zunahme gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahrs um 191 Fälle (+57%; 2019: 336 Fälle). Auch gegenüber dem bisherigen FSME-Rekordjahr 2018 wurden in diesem Jahr schon mehr Fälle (527 vs. 498) gemeldet. Damit steuert Deutschland auf einen neuen Rekord bei den Fallzahlen der FSME zu. 

Deutschland ist nicht allein mit dieser Entwicklung. Die österreichische Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) meldet für das Nachbarland am 25. August 205 Fälle. Man muss weit in die Geschichte zurückgehen, um eine ähnlich hohe Zahl für Österreich zu finden. Seit 1986 wurde diese Zahl an FSME-Fällen in Österreich nicht mehr registriert. Und Österreich gilt nach wie vor als Musterland in Sachen Durchimpfung seiner Bevölkerung mit aktuell > 80%. Und auch das Schweizer Bundesamt für Gesundheit (BAG) meldet ein Rekordjahr mit 332 Fällen Ende Juli 2020. Dies sind ca. 10% mehr Fälle als im ebenfalls bisherigen Rekordjahr 2018 und die höchste je berichtete Fallzahl seit Einführung der Meldepflicht im Jahr 1988.
 

Abb. 1: Kumulative wöchentliche FSME-Meldungen an das RKI (Robert Koch-Institut: SurvStat@RKI 2.0, https://survstat.rki.de, Abfragedatum: 07.09.2020).


Nach ersten detaillierteren Analysen der Situation am Nationalen Konsiliarlabor, welches Mitglied des Forschungsnetzes Zoonotische Infektionskrankheiten ist, können zwei Entwicklungen ausgemacht werden, die in diesem Jahr zusammentreffen und wohl für diese hohe Zahl von FSME-Fällen verantwortlich sind.

  1. Ein indirekter kurzfristiger Effekt durch die CoVID-19-Pandemie. Die Ärzteschaft ist sich einig, dass durch COVID-19 FSME-Impfungen nicht zeitgerecht durchgeführt wurden. Darauf deutet hin, dass unter den FSME-Fällen ein deutlicher Anteil von nicht vollständig geimpften grundimmunisierten Patienten ist.
    Wichtiger scheint jedoch die durch COVID-19 bedingte Einschränkung der Reisetätigkeit. Dadurch mussten sehr viele Menschen zu Hause bleiben und haben sich verstärkt in der heimischen Natur aufgehalten. Dort waren sie gegenüber Zecken exponiert und können sich ggf. auch infiziert haben. Die ersten Analysen legen nahe, dass bis zu 100 aktuelle FSME-Fälle durch diesen Mechanismus mit bedingt sind.
     
  2. Ein Vergleich der durchschnittlichen FSME-Zahlen der Jahre 2001 bis 2015 mit den Zahlen der letzten Jahre zeigt, dass seit 2016 die Zahlen in jedem Jahr deutlich über dem 15-jährigen Durchschnitt liegen und dies bis 2019 unabhängig von der aktuellen COVID-19-Pandemie. Hier ist der deutliche Effekt des Klimawandels auf die Dynamik der Zeckenpopulationen der letzten Jahre erkennbar. Schon im Frühjahr 2020 zeigten die ersten Zeckenuntersuchungen hohe Nymphenzahlen (530 vs. 230 im Durchschnitt von 2009-2015) und einen hohen Anteil von adulten Zecken (30% vs. 10% im Durchschnitt) in der diesjährigen Population und damit ein etwa 50% höheres Infektionsrisiko durch die in den endemischen Risikogebieten vorhandenen Zecken. Dies ist nicht ein regionales, sondern, wie auch die Nachbarländer Süddeutschlands zeigen, ein überregionales Problem.

Hohes Expositionsrisiko und hohe Viruslast in der Natur und eine verminderte Impfbereitschaft zeichnen also ursächlich für die FSME-Entwicklung verantwortlich und zumindest die Klimaentwicklung wird sich fortsetzen. Die FSME wird mittlerweile in den Alpentälern und auch im Schwarzwald bis in ca. 700 m Höhe beobachtet, während bis vor einigen Jahren hauptsächlich die Höhenlagen unter 550 m betroffen waren. Diese höher gelegenen Regionen zählen zu den bevorzugten heimischen Erholungsgebieten. Damit ist auch in den kommenden Jahren (ohne COVID-19) mit steigender Exposition und damit mit sehr hohen Erkrankungszahlen zu rechnen. Den einzigen wirklichen Schutz bietet eine vollständige Grundimmunisierung und aktuelle Auffrischung mit einem Impfstoff gegen FSME. Die FSME-Impfung sollte daher regelmäßig überprüft und v.a. auch bei Reisen in die innerdeutschen FSME-Risikogebiete durchgeführt werden.