Drei aus Fünf
COVID-19. SARS. Ebola. AIDS. Viele der Krankheiten, die sich auf der ganzen Welt ausbreiten, haben eins gemeinsam: Ihre Erreger sprangen vom Tier auf den Menschen über. Sie sind Zoonosen.
Die Liste ist lang: Pest und Tuberkulose gehören dazu, Tollwut und das Ebola-Fieber, AIDS, BSE, Hantavirus-Infektionen, die Vogelgrippe, das West-Nil-Fieber, MERS, Zika. Und jetzt auch COVID-19, ausgelöst durch das Coronavirus SARS-CoV-2. Zoonosen allesamt. „Krankheiten und Infektionen, die auf natürlichem Wege zwischen Wirbeltieren und Menschen übertragen werden“ (WHO) – etwa, wenn Menschen (Wild-)Tiere oder deren Produkte essen oder engen Kontakt zu ihnen haben. Über 200 gibt es nach heutigem Wissensstand, davon rund 40, die das Potential haben, eine Pandemie auszulösen.
Und auch wenn sich die Liste, mit Ausnahme des COVID-19-Erregers, exotisch liest: Auch Zecken übertragen hierzulande Zoonosen, das Q-Fieber ist eine, FSME eine weitere. Andere Zoonosen werden durch Salmonellen und Campylobacter verursacht. Und so sind alltägliche Dinge wie Honig und Hackfleisch, Eier und Käse auch nur deswegen Teil unseres Alltags, weil schon früh Forschung dazu betrieben wurde. Aktuell auch im Netzwerk Zoonotische Infektionskrankheiten, das Zoonosen bei all ihren Wirten betrachtet: bei Menschen und Tieren. Außerdem sind Zoonosen vielfältig: Sie können durch Bakterien, Viren, Parasiten und Prionen ausgelöst werden.
Dabei ist es nicht ungewöhnlich, dass Krankheitserreger von Tieren auf Menschen überspringen. Im Gegenteil: Die Wahrscheinlichkeit nimmt weltweit zu. Bereits heute stammen drei von fünf Infektionskrankheiten, die neu auftreten, von Tieren. Eine bereits 2012 erschienene Studie geht davon aus, dass es Jahr für Jahr 2,7 Millionen Todesfälle durch Zoonosen gibt – bei 2,5 Milliarden Krankheitsfällen. Auslöser seien gerade einmal 56 Erreger. Diese Entwicklung ist menschengemacht. Bevölkerungswachstum, Naturzerstörung, Artensterben, Mobilität, Klimawandel: Ein gesundes Ökosystem sorgt für eine Balance der einzelnen Erreger. Ist es allerdings zerstört oder geschwächt, was so gut wie immer durch menschliche Aktivität geschieht, passen sich manche Viren besser an die neuen Bedingungen an, als andere. Dringen Menschen immer tiefer in tropische Wälder vor, um sie als Quelle von Nahrung zu nutzen oder abzuholzen, verschwinden die dortigen Viren nicht, sondern sie suchen sich schlicht neue Lebensräume: Menschen. Wenn Mensch und Tier immer dichter zusammenrücken, etwa auf Wildtiermärkten, sorgt die Evolution zudem ganz automatisch dafür, dass solche Viren im Vorteil sind, die leicht ihren Wirt wechseln können, also von Art zu Art springen.
So ist etwa zwar Ebola eine klassische Zoonose, die uns aber eigentlich nicht belästigen würde, würden wir nicht Regenwälder nutzen und Bushmeat verzehren. Aber sie ist eben nicht die einzige: Eine Übertragung von Zoonosen kann auch durch sogenannte „Vektoren“ erfolgen, etwa Zecken und Mücken. Es gibt Schätzungen, nach denen Malaria in rund dreißig Jahren aufgrund des Klimawandels auch in Deutschland keine Besonderheit mehr sein wird. Die Asiatische Tigermücke, einer der Überträger, ist bereits in Deutschland aufgetaucht und mittlerweile hier auch endemisch, also in einem begrenzten Gebiet verbreitet – allerdings noch ohne den Erreger. Das West-Nil-Virus, dass beim Menschen eine Entzündung des Gehirns auslösen kann, die als „neuroinvasive Form“ eine Todesrate von bis zu zehn Prozent hat, ist bereits da. Das Virus kommt regelmäßig mit Zugvögeln aus den Tropen über das Mittelmeer. 2018 wurde der Erreger erstmals in Deutschland entdeckt.
Neben Umweltzerstörung und deren Veränderung ist eine weitere menschengemachte Ursache einer der großen Treiber neuer zoonotischer Infektionskrankheiten: die Massentierhaltung. Häufig sind Vögel oder Schweine Zwischenwirte für neue Erreger. Große Betriebe, in denen viele tausend Tiere zusammengepfercht werden, wirken so als Brandbeschleuniger. Auch die Spanische Grippe, die von 1918 bis 1920 grassierte und geschätzt rund fünfzig Millionen Todesopfer forderte, entsprang vermutlich einer Farm im Mittleren Westen der USA. Sie befiel zunächst nur Wasservögel – und dann Geflügel. Über einen Farmer, der danach im Ersten Weltkrieg in der Armee in Belgien diente, breitete sie sich weltweit aus. Und auch die zwei schweren Grippewellen 1957 und 1968 mit mindestens jeweils einer Million Toten weltweit, deren Ursprünge in China und Hongkong lagen, wurden vermutlich durch neuartige Vogelgrippeviren und Nutztiere ausgelöst.
Wie knapp es oftmals ist, beweist auch die umgangssprachlich Schweinegrippe genannte Pandemie H1N1, die 2009 erstmals entdeckt wurde. Sie hatte in Mexiko ihren Ursprung und erhielt schnell große Aufmerksamkeit – weil ein früherer H1N1-Subtyp die Spanische Grippe verursacht hatte. Zwar verbreitete sich die Pandemie schneller, als es erwartet wurde, die Letalität war aber glücklicherweise gering. Dennoch: Obwohl die WHO weltweit nur rund 15 000 Tote meldete, sind das nur gemeldete Fälle. Eine im Jahr 2012 in einem Fachmagazin veröffentlichte Studie geht dagegen von bis zu 575 000 Toten alleine im ersten Jahr aus.
Auch wenn es uns gerade nicht so vorkommt: COVID-19 ist eher die Regel, nicht die Ausnahme. Andere Infektionskrankheiten werden folgen. Alleine in Fledermäusen gibt es rund 3200 Coronaviren, beim Menschen kennen wir gerade einmal sieben. Grund genug, Zoonosen zu erforschen und die Menschen besser darauf vorzubereiten, mit ihnen umzugehen – und im besten Fall vorzubeugen.
Quellen:
- https://www.lgl.bayern.de/tiergesundheit/tierkrankheiten/zoonosen/index.htm
- https://www.deutschlandfunk.de/kampf-gegen-zoonosen-wenn-tiere-den-menschen-anstecken.724.de.html?dram:article_id=414993
- Gefahr aus der Höhle, Der Spiegel, Nr. 15/2020
- 1918, Die Welt im Fieber, Laura Spinney, Hanser 2018
- Lyle R. Petersen, Marc Fischer: Unpredictable and Difficult to Control – The Adolescence of West Nile Virus. In: New England Journal of Medicine. Band 367, Ausgabe 14 vom 4. Oktober 2012
- https://www.who.int/csr/don/2010_08_06/en/
- First Global Estimates of 2009 H1N1 Pandemic Mortality Released by CDC-Led Collaboration (en-us) 25. Juni 2012. Abgerufen am 13. April 2020.
- Dawood FS, Iuliano AD, Reed C, Meltzer MI, Shay DK, Cheng PY, Bandaranayake D, Breiman RF, Brooks WA, Buchy P, Feikin DR, Fowler KB, Gordon A, Hien NT, Horby P, Huang QS, Katz MA, Krishnan A, Lal R, Montgomery JM, Mølbak K, Pebody R, Presanis AM, Razuri H, Steens A, Tinoco YO, Wallinga J, Yu H, Vong S, Bresee J, Widdowson MA: Estimated global mortality associated with the first 12 months of 2009 pandemic influenza A H1N1 virus circulation: a modelling study. In: The Lancet Infectious Diseases. 12, Nr. 9, September 2012, S. 687–95.
- New Scientist vom 13. April 2005: „Pandemic-causing 'Asian flu' accidentally released“.
- Michael Mandel: No need to panic … yet Ontario officials are worried swine flu could be pandemic, killing thousands, Toronto Sun. 26. April 2009. Abgerufen am 28. Dezember 2015.
- https://www.sueddeutsche.de/wissen/klimawandel-mit-der-hitze-kommen-die-muecken-1.4414069
- https://www.mta-dialog.de/artikel/wie-sich-malaria-in-europa-ausbreiten-wird.html
- Prioritizing Zoonoses for Global Health Capacity Building—Themes from One Health Zoonotic Disease Workshops in 7 Countries, 2014–2016 (https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pmc/articles/PMC5711306/)
- Gebreyes WA, Dupouy-Camet J, Newport MJ, Oliveira CJ, Schlesinger LS, Saif YM, et al. The global One Health paradigm: challenges and opportunities for tackling infectious diseases at the human, animal, and environment interface in low-resource settings. PLoS Negl Trop Dis. 2014;8:e3257. 10.1371/journal.pntd.0003257