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NL5 2023 Artikel 3

Von der Zoonose zur Pandemie – ist Deutschland vorbereitet?

 

Am 21. April fand im Futurium in Berlin die Abschlussveranstaltung des Forschungsnetz Zoonotische Infektionskrankheiten statt. Dabei wurde Fachkolleg:innen und Pressevertreter:innen wurde ein großer Bogen von der Coronapandemie über Q-Fieber, Arbo-Viren, Nagetier-übertragene Pathogene bis zur Politik gespannt.

 

Zwar war die Covid-Pandemie immer noch das bestimmende Thema, aber vier Themenblöcke und eine abschließende Podiumsdiskussion zeigten: Ende April ging es auf der Abschlussveranstaltung des Forschungsnetz Zoonotische Infektionskrankheiten im Futurium in Berlin weniger um die Vergangenheit als vielmehr um die Zukunft.

 

Das Auditorium diskutierte Fragen wie: Was muss Deutschland aus der Pandemie lernen? Auf welche anderen Erreger sollte man schauen? Was ist deren zoonotisches Potenzial? Die Fragen sind umso wichtiger, weil zum Ende des Jahres des Förderung des Bundes­ministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) so­wohl für das Forschungsnetz Zoonotische Infektionskrankheiten als auch für die Zoonosenplattform ausläuft. Die darauf aufbauende One Health-Plattform wird sich zwar ebenfalls der Zonoosenforschung widmen, jedoch werden nach aktuellem Stand nur Mittel für kleinere und mittelgroße Projekte zur Verfügung gestellt – Mittel für größere Verbünde fehlen. Nichts desto trotz ist One Health ein Gedanke in die richtige Richtung: bedeutet es doch, dass die Gesundheit von Tieren und Menschen nicht unabhängig von der Umwelt gedacht werden kann.

 

Im ersten Panel ließen Dr. Victor Corman, Prof. Christian Drosten (beide von der Charité) und Prof. Melanie Brinkmann (Helmholtz-Zentrum für Infektionsmedizin und Universität Braunschweig) die Pandemie Revue passieren. Wie wurden im Labor die Anfänge im Dezember 2019 und Januar 2020 wahrgenommen? Corman erinnerte sich, wie er zunächst mehr als Fingerübung die PCR designt hat, um ein mögliches, neues Coronavirus zu detektieren, als er erstmals vom Auftauchen des neuen Virus hörte. Denn: Warnungen vor potenziellen Pandemien gibt es in der Fachwelt häufig. Oft folgt daraus jedoch gar nichts, der Erreger läuft sich tot: Er ist zu tödlich oder zu harmlos, verbreitet sich zu schlecht, tritt im hintersten Winkel eines Landes auf, oder wird erkannt und unschädlich gemacht – schließlich ist bereits viel Wissen in der Welt.

 

Was hätte man im Verlauf vielleicht besser machen können? Die öffentliche Präsenz von Forschenden sei auf zu wenig Schultern verteilt worden. Dadurch hätten vermeintliche Experten ohne Expertise zu viel Raum in der Öffentlichkeit bekommen. Was man wusste, sagte etwa Brinkmann, sei unterrepräsentiert gewesen, zu dem, was öffentlich diskutiert worden sei. So wurde etwa in Talkshows behauptet, dass es völlig unklar sei, ob eine Winterwelle komme, obwohl in den Fachgesellschaften jedem klar gewesen sei, dass das passiere. „Andere Stimmen waren sehr laut“.

 

Das verunsicherte Politik und Bevölkerung. Scheindebatten verzögerten politisches Handeln und gab es keine Strategie für den Herbst 2020. Insgesamt sei die Pandemie ein Wechselbad der Emotionen gewesen, sagte Brinkmann.

 

Als die Pandemie nach den ersten Wochen nicht vorbei war, weil sich ein Virus nun mal nicht nach Befindlichkeiten einer Gesellschaft richte, sei Frust entstanden. Und das Gefühl: Wie lange soll das denn noch gehen? Daraus sei offenbar der Widerstand gegen die Maßnahmen erwachsen. Das ist einerseits vermutlich nicht überraschend, weil menschlich, bedeutet andererseits aber, dass man als Wissenschaft, Medien und Politik darauf vielleicht anders reagieren muss. Die Fragen, die die Forschenden daraufhin im Plenum diskutierten: Kann man überhaupt besser kommunizieren? Hätten Fachgesellschaften sich stärker positionieren sollen? Muss die organsierte Wissenschaft klarer benennen, was Konsens ist? Und wäre mehr Kommunikation gut gewesen?

Sicher ist, man braucht eine robuste Forschungslandschaft, die mit neuen Erregern umgehen kann.

 

Betont wurde das auch im nächsten Block: „Hier bei uns“ beschäftigte sich mit Viren, die bereits in Deutschland heimisch sind und die unter anderem Kleinsäuger, die artenreichste Gruppe der Säugetiere, als Reservoirwirte haben. Prof. Rainer Ulrich vom Friedrich-Loeffler-Institut (FLI) begann mit einem Vortrag über Hantaviren. Martin Beer (ebenfalls vom FLI) folgte zum Thema Bornaviren und Timm Harder (FLI) sprach über Aviäre Influenza, seit 2006 bekannt als Vogelgrippe. Zoonosen, so ihre Botschaft, sind weder was Besonderes noch müsse man weit reisen, um sie zu erforschen. Veränderte Umweltbedingungen spielten eine Rolle bei der Übertragung von Tier zu Mensch, sich stark vermehrende Futterpflanzen aufgrund verändernder Wetterbedingungen, zudem menschliches Verhalten, wie etwa der Handel mit Tieren über das Internet.

 

Regionale Cluster gebe es sowohl beim Hanta-, als auch beim Bornanavirus, das sogar nur im deutschsprachigen Raum vorkomme. Und obwohl einzelne Zahlen deprimierend sind, so liegt die Todesrate beim Menschen beim Borna Disease Virus 1, BoDV-1, bei 98 Prozent, sind Erkrankungen mit dem Bornavirus sehr selten. Zudem werden beide Erreger nicht von Mensch zu Mensch übertragen, eine Pandemie kann daraus also nicht entstehen. Bei H5N1, einem Aviären Influenzavirus, sieht das anders aus. Das Virus kann bedingt von Mensch zu Mensch übertragen werden, hat sich bisher über den Vogelzug und Nutzgeflügel auf vier Kontinenten verbreitet und kann inzwischen auch eine Reihe anderer Säugetiere infizieren. Eine Übertragung zwischen Menschen passiert dennoch selten. Das zoonotische Risiko ist aktuell überschaubar. Das allerdings kann sich ändern. Hin und wieder springt das Virus jetzt schon über, in einzelnen Clustern gibt es eine Sterblichkeit von 40 Prozent. Nur: Das muss nicht so bleiben und ist auch nicht wahrscheinlich, so Harder, denn wenn das Virus besser übertragbar werde, repliziere es weiter oben in den Atemwegen und damit nehme die Fallsterblichkeit vermutlich ab.

 

In der dritten Session wurde über „Arboviren“, Viren, die über Arthopoden übertragen werden, gesprochen. Als besonders bekannter Vertreter wurde zuerst von Dr. Merle Böhmer (LGL Bayern und Uni Magdeburg) das FSME-Virus vorgestellt: 85 Prozent aller übermittelnden Fälle kommen aus Bayern oder Baden-Württemberg. Das Virus ist jedoch nicht flächig verteilt, sondern sitzt in sogenannten Naturherden, ökologischen Nischen mit besonderen Umweltbedingungen. Diese Naturherde sind regional teilweise bekannt, jedoch nicht in allen Fällen. Trotz bekanntem Risiko für Hirnhautentzündungen ist die Impfquote gegen FSME in diesen Risikoregionen vergleichsweise gering. Möglicherweise wäre auch hier eine bessere Kommunikation ein Schlüssel zum Erfolg. Dr. Ute Ziegler (FLI) berichtete über das West-Nil-Virus in Deutschland. Dieses Virus hat sich in den letzten fünf Jahren aus Südosteuropa kommend etabliert und kommt schwerpunktmäßig im Osten Deutschlands vor. Anfangs wurde es vor allem in Vögeln (vom Wildvogel bis zum Zoovogel) und in Pferden beobachtet. Seit 2019 werden auch regelmäßig Infektionen bei Menschen ohne Reise-Vorgeschichte beobachtet. Zum Glück verlaufen viele Infektionen mild und werden nur zufällig als bereits abgeklungene Infektion, beispielsweise beim Blutspenden, entdeckt. Selten jedoch gibt es auch schwere Verläufe mit Komplikationen. Einen Impfstoff für Menschen gibt es aktuell noch nicht. Pferde können jedoch mittels Impfung geschützt werden, was viele Pferdebesitzer in Ostdeutschland bereits nutzen.

 

Prof. Sandra Junglen (Charité) berichtet zum Thema Habitat- und Umweltveränderungen von ihrer Forschung, die überwiegend in Afrika stattfindet. Die Erde befindet sich mitten in einem großen Prozess des Massenaussterbens. Es ist das Sechste in der Geschichte des irdischen Lebens und das Erste, das von einer anderen Spezies verursacht wird. Zudem ist es das Schnellste seit dem Aussterben der Dinosaurier: 52 Prozent aller bekannten Arten sind in den letzten fünfzig Jahren ausgestorben. Es werden pro Tag rund 20.000 Hektar Regenwald abgeholzt. Regionen wie der Regenwald, die eine hohe Biodiversität haben, sind gleichzeitig Hotspots für Viren. Eingriffe in solche Ökosysteme bringen daher immer auch unbekannte Erreger mit Menschen in Kontakt, schließlich verschwinden die Viren nicht, sondern suchen sich, wenn sie können, neue Wirte. Die Theorie, die besagt, dass Risiken in intakten Ökosystemen allein durch die Vielzahl an unterschiedlichen Viren und Wirte gering sind, da eine große Ausbreitung einzelner, besonders pathogener Viren unwahrscheinlich ist, erhärtet sich durch Forschung zunehmend. Im Gegenzug bedeutet das, dass eine Zerstörung von Ökosystemen eine Selektion auf breit übertragbare Viren und gleichzeitig auf besonders anpassungsfähige Wirte – sogenannte Generalisten – zur Folge hat und damit pandemische Ereignisse wahrscheinlicher werden. Zudem ist nur wenig bekannt über Virusvarianten mit Pandemiepotenzial, bevor sie Ausbrüche verursachen. Sie sind häufig schlicht unbekannt, bevor sie erstmals Krankheiten bei Menschen verursachen. So weiß man etwa vom Chikungunyavirus, seit es seit 2004 in Afrika und darüber hinaus Infektionskrankheiten verursacht. Seine präpandemischen Varianten, die es vorher gegeben haben muss, liegen völlig im Dunkeln.

 

Klar ist allerdings, dass viele Arten die Prävalenz eines Erregers verdünnen, er also von anderen Viren in Schach gehalten wird. Eine Monokultur, die eine Region mit hoher Biodiversität ersetzt, sorgt meist auch dafür, dass ein Erreger dominant wird – weil er etwa in dem Tier lebt, dass am besten an die veränderten Umweltbedingungen angepasst ist. Viele Viren mit vielen Wirten, das brachte die folgende Paneldiskussion mit Junglen, Böhmer und Ziegler auf den Punkt, sind in der Regel weniger gefährlich als wenige Viren mit weniger Wirten, weil die sich selbst im Gleichgewicht halten.

 

Im abschließenden vierten Themenblock „Bakterien in Tier, Mensch und Wurst“ lag der Fokus eigentlich auf Antibiotikaresistenzen und ihrer Entstehung. Zu Beginn berichtete jedoch Prof. Martin Runge von der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover aus aktuellem Anlass zu einem Ausbruch von Q-Fieber in Norddeutschland. Die Erkrankung ist hoch ansteckend: nur zehn Bakterien reichen aus, um Menschen zu infizieren. Häufig werden Ausbrüche erst spät entdeckt und dann müssen viele Tiere getötet werden. Beim aktuellen Ausbruch in Lüneburg machte sich bezahlt, dass im Q-Fieber-Verbund des Forschungsnetzes – Q-GAPS – Leitfäden entwickelt worden waren, wie der humanmedizinisch orientierte Öffentliche Gesundheitsdienst und die amtstierärztliche Seite einen solchen Ausbruch gemeinsam bewältigen können. Dank kompetenter Beratung und guter Zusammenarbeit konnte der Ausbruch schnell und folgenarm eingedämmt werden. Anschließend berichtete Dr. Melanie Schweizer (Bundesverband der beamteten Tierärzte e.V.) über die zahlreichen Aufgaben amtlicher Tierärztinnen und Tierärzte. Auch sie betonte die Wichtigkeit der interdisziplinären Zusammenarbeit mit Forschung und öffentlichem Gesundheitsdienst, wenn Ausbrüche schnell erkannt werden sollen. Sie räumte auch mit der Illusion auf, dass man sich verlässlich keimärmer ernähren könne, wenn man auf vegetarische Kost setzt. Auch geschnittener Salat kann Träger von pathogenen Bakterien sein – insbesondere, wenn er längere Zeit bei Raumtemperatur steht. Ihr Appell an gute Küchen- und Lebensmittelhygiene war deutlich vernehmbar. Dr. Wilma Ziebuhr von der Universität Würzburg schließlich beschäftigt sich mit der Entstehung antibiotikaresistenter Bakterien und referiertr darüber, dass diese Entstehung von Resistenzen im Grunde nicht überraschend sei: Antibiotika sind Naturstoffe, die Bakterien bilden, um andere Mikroorganismen zu verdrängen. Um sich nicht selbst zu schaden, tragen sie allerdings die Codierung für Resistenzmechanismen in ihrem Erbgut – die andere Mikroorganismen in der Nachbarschaft durch horizontalen Gentransfer erwerben können. Die Existenz von Antibiotikaresistenzen ist so in der Evolution vorgesehen, Nachweise findet man daher auch in 30.000 Jahre alten Permafrostböden, lange bevor Menschen Antibiotika einsetzen. Dennoch ist klar, dass durch die Anwendung in Medizin, Veterinärmedizin oder Landwirtschaft ein Selektionsdruck erzeugt wird, der zur Verbreitung antibiotikaresistenter Bakterien führt. Die Referenten waren sich einig, dass auch durch sparsame Anwendung von Antibiotika, wie beispielsweise durch die Deutsche Antibiotka Resistentstrategie, das Problem resistenter Bakterien nicht gelöst werde, man könne es nur verkleinern. Dr. Bernd-Alois Tenhagen (Bundesinstitut für Risikobewertung) und Prof. Robin Köck (Uniklinik Essen) konkretisierten die Ausführungen mit Erläuterungen aus der Hühnerhaltung und beruflicher Exposition am Beispiel von MRSA.

 

Die Podiumsdiskussion am Ende der Veranstaltung stand unter der großen, rhetorischen Frage „Kann Forschung die nächste Pandemie verhindern?“ Eine beruhigende Antwort gab es: Die Corona-Pandemie sei kein Beispiel, das sich von nun an ständig wiederhole, sagte Christian Drosten. Kontaktbeschränkungen wie bei der Coronapandemie oder eine vergleichbare Letalität in bestimmten Alters­gruppen, wären bei anderen Pandemien nicht zwangsweise erwartbar. Viren und ihre Übertragungen seien sehr unterschiedlich. Nichtjede Pandemie bedeutet, dass eine Maskenpflicht nötig ist, sondern nur, dass der Erreger hochansteckend sei und sich weltweit verbreitete.

Das Podium war sehr breit aufgestellt: neben Prof. Drosten konnte Dr. Katharina Hüppe vom Bundesverband der Ärztinnen und Ärzte des Öffentlichen Gesundheitsdienstes erklären, wie der ÖGD in Deutschland in den letzten Jahren modernisiert wurde und wie wichtig Gesundheitskommunikation ist. Faxen würde man im ÖGD schon lange nicht mehr. Dr. Erik Schmolz vom Umweltbundesamt legte den Spagat zwischen der Bekämpfung unerwünschter Kleinsäuger und Umweltfragen vor dem Hintergrund stabiler Ökosysteme und dar. Mit Tina Rudolph, SPD und Mitglied des Bundestages und Johannes Wanger, Bündnis 90/ Die Grünen und ebenfalls Mitglied des Bundestages waren zwei Parlamentarier:innen vertreten, die unlängst den Parlamentskreis One Health gegründet haben. Sie machen sich stark dafür, dass One Health auch im Parlament ein Thema ist und fraktionsübergreifend bearbeitet wird.  Unter One Health lassen sich viele Aspekte der Gesundheit zusammenfassen. One Health ist aber gleichzeitig ein neuer, etwas sperriger Begriff, der gut erklärt werden muss. 

Und so endete die Veranstaltung thematisch, wie sie begonnen hatte: Mit der Frage nach der Kommunikation von Wissenschaft. „Das“ sagte einer der Diskussionsteilnehmer am Ende „ist eine konstante Aufgabe. Eine Herkulesaufgabe.“