
Der Schnupfen des Kamels
Die Bezeichnung „Coronavirus“ hat in den letzten 20 Monaten so etwas wie einen enormen Popularitätsschub erfahren. Jeder, der aktuell über das neuartige Virus spricht, meint damit SARS-CoV-2. Coronaviren selbst begleiten uns indes schon sehr lange. Ein weiteres hochpathogenes ist dabei MERS-CoV, das in den vergangenen rund zehn Jahren immer wieder zu Ausbrüchen geführt hat. Der Verbund RAPID hatte sich das Virus zunächst als Modell zur Erforschung von Coronaviren vorgenommen, bevor er auf SARS-CoV-2 reagierte. Dennoch wird MERS-CoV weiterhin beobachtet und erforscht – denn die Epidemie mit dem Erreger dauert auf der Arabischen Halbinsel bis heute an.
Im Juni 2012 wurde ein 60 Jahre alter Mann in Dschidda mit schweren Atemwegsbeschwerden in ein Krankenhaus eingeliefert – und verstarb eine Woche später. Im September 2012 gelang erstmals die Isolierung des Virus, das für den Tod des Mannes verantwortlich war. Das bis dato unbekannte Coronavirus erhielt den Namen MERS-CoV, der grob das Virus beschreibt: Die Abkürzung MERS-CoV steht für Middle East Respiratory Syndrome Coronavirus. Demnach liegt der Ursprung des Virus bzw. seine Entdeckung in der Region Mittlerer Osten, es betrifft den Atmungsapparat des Menschen, und es gehört zur Familie der Coronaviren, einer großen Gruppe von behüllten RNA-Viren, die weltweit nicht nur beim Menschen sondern auch bei einer Vielzahl von Tieren, wie etwa Vögeln, Fledermäusen, Schweinen, Katzen, Hunden oder Pferden, vorkommen. Coronaviren können beim Menschen eine ganze Reihe von Symptomen auslösen – von einfachen Erkältungen bis hin zu schweren Erkrankungen wie bei SARS, MERS oder aktuell COVID-19.
Durch einen Reisenden, der zuvor die Arabische Halbinsel besuchte, fand das Virus im Jahr 2015 seinen Weg nach Südkorea – und löste dort einen größeren Ausbruch aus. 186 Personen infizierten sich innerhalb weniger Monate, 38 Menschen starben. Bis heute ist MERS nach WHO-Angaben in 27 Ländern mit mehr als 2500 laborbestätigten Fällen nachgewiesen – und weist eine offizielle Letalitätsrate von 34,4 Prozent auf - wobei viele asymptomatische Fälle nicht erkannt werden und somit nicht in die Statistiken einfließen. In Deutschland wurden bisher drei Personen mit MERS behandelt. Zwei davon verstarben an den Folgen der Krankheit.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich innerhalb des Forschungsnetzes Zoonotische Infektionskrankheiten im Verbund RAPID zusammengeschlossen haben, gingen anhand von MERS-CoV der Frage nach wie sich respiratorische Viren, deren Ursprung in der Tierwelt liegt, zu pandemischen Erregern entwickeln. Die auf dieser Grundlage geschaffenen Strukturen konnten umgehend in der aktuellen Pandemie genutzt werden.
RAPID ist aus verschiedenen Arbeitsgruppen zusammengesetzt, die sich gegenseitig befruchten. „In regelmäßigen Abständen tauschen wir Fachkenntnisse aus. Jeder kennt die jeweiligen Forschungsschwerpunkte, so dass wir uns auch mit Material wie Proben, Antikörpern oder Viren unterstützen. Diese Organisation ist äußerst wichtig, um schnell handlungsfähig zu sein und gemeinsam Erkenntnisse über den Erreger zu erhalten“, sagt Prof. Dr. Friedemann Weber, Leiter des Instituts für Virologie an der Justus-Liebig Universität Gießen. Seine Arbeitsgruppe ist auf die Wechselwirkung zwischen RNA-Virus und der entsprechenden Immunreaktion spezialisiert.
Kurzatmigkeit, Atemnot, Fieber, Husten, Halsschmerzen, Muskelschmerzen aber auch Durchfall, Übelkeit und Erbrechen sind Symptome einer MERS-Erkrankung. Die Mehrheit der Patienten entwickelt nach der Infektion, deren Inkubationszeit ein bis zwei Wochen beträgt, jedoch Atemwegsbeschwerden. Häufig entwickelt sich im weiteren Verlauf eine Lungenentzündung. Auch Nierenentzündungen sowie multiples Organversagen sind möglich.
Zur Behandlung von MERS gibt es bislang kein spezifisches Medikament. Sie kann daher nur unterstützend sein, die Symptome mildern und vor allem die Sauerstoff- und Flüssigkeitszufuhr gewährleisten. Auch ein Impfstoff ist bisher nicht vorhanden.
Aufgrund der Schwere der Erkrankung und der von Mensch zu Mensch möglichen Übertragung bezeichnet die WHO MERS als eine „Priority Disease“, also als eine Krankheit für deren Erforschung und Entwicklung von Medikamenten höchste Priorität eingeräumt werden muss.
Ausgangspunkt aller weltweit registrierten MERS-Erkrankungen ist die Arabische Halbinsel, alle bisher bekannt gewordenen Infektionen stehen in Zusammenhang mit einem vorangegangenen Aufenthalt von Infizierten in dieser Region.
Ein wichtiges Tierreservoir ist das Dromedar. Innerhalb der Kamelpopulation wird die Infektionskette aufrechterhalten. Vor allem junge, immunologisch naive Dromedare stecken sich an und geben das Virus wiederum weiter. Anhand von Sekreten und Exkreten scheiden sie große Virusmengen aus und stellen damit die Quelle für menschliche Infektionen dar. Aufgrund dieser Erkenntnis stellte die WHO für alle Reisenden in Länder des mittleren Ostens die Empfehlung auf, den Kontakt zu Dromedaren zu meiden und kein unvollständig erhitztes Fleisch oder anderweitiges Lebensmittelprodukt wie Milch oder Käse von Dromedaren zu verzehren. Dass dies keine exotische Empfehlung ist, die nur eine kleine Randgruppe betrifft, zeigt, dass allein nach Deutschland jedes Jahr eine Million Menschen von der arabischen Halbinsel einreisen.
Dromedare wiederum wurden höchstwahrscheinlich durch den Kontakt mit Fledermäusen von diesen infiziert, worauf molekularbiologische Studien hinweisen.
„Fledermäuse sind voll von diesen Viren. Und es gibt immer wieder Sprünge auf den Menschen. Je häufiger es Begegnungen gibt, desto wahrscheinlicher ist es, dass wir ein neues humanes Coronavirus kennenlernen“, so Prof. Dr. Friedemann Weber.
Doch die Strukturen zur Erforschung, Eindämmung und Bekämpfung stehen jetzt auch dank des Verbunds RAPID. Zukünftig können die im Verbund gewonnen Erkenntnisse weiterhin zu einer verbesserten Risikoeinschätzung der Ausbreitung und Behandlung von durch neuartige Coronaviren verursachten Krankheiten führen – und eventuell Epidemien frühzeitig verhindern.
Quellen:
- https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/M/MERS_Coronavirus/MERS-CoV.html
- https://www.dzif.de/de/glossar/mers
- https://www.who.int/news-room/q-a-detail/middle-east-respiratory-syndrome-coronavirus-(mers-cov)
- https://www.cdc.gov/coronavirus/mers/
- https://www.lgl.bayern.de/gesundheit/infektionsschutz/infektionskrankheiten_a_z/coronavirus/index.htm
- https://www.infektionsschutz.de/erregersteckbriefe/mers-coronaviren/