
„Es gibt eine deutliche Korrelation zwischen dem Einsatz von Antibiotika und dem Vorkommen von Multiresistenzen“
PD Dr. med. Robin Köck ist nicht nur Facharzt für Hygiene und Umweltmedizin, sondern auch für Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie. Als Chefarzt an den DRK Kliniken Berlin ist er direkt mit den Herausforderungen, die multiresistente Erreger bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten stellen können, konfrontiert. Innerhalb des Forschungsnetzes Zoonotische Infektionskrankheiten koordiniert er den Forschungsverbund #1Health-PREVENT, der sich mit Antibiotikaresistenzen auseinandersetzt.
Wo ist die Studienlage zum Vorkommen von multiresistenten Erregern noch sehr ungenau, wo ist sie deutlich?
Das ist abhängig von dem jeweiligen Erreger. Es gibt verschiedene multiresistente Erreger (MRE). Einige kennt man schon relativ lange. Dort sind auch die Übertragungswege bekannt, gerade wenn es um unseren Forschungsschwerpunkt, die Übertragung zwischen Tier und Mensch geht. Bei anderen Erregern ist noch vieles unklar. Gut untersucht sind beispielsweise Methicillin-resistente Staphylococcus aureus-Bakterien (MRSA) und sogenannte ESBL-Erreger, gram-negative Bakterien die β-Laktamasen mit breitem Wirkungsspektrum besitzen (‚Extended spectrum β-lactamase‘) und gegen die daher nur noch Antibiotika der neueren Generationen wirken. Weniger gut verstanden sind die unter anderem in unserem Verbundprojekt schwerpunktmäßig untersuchten Carbapenem- und Colistin-resistenten Erreger.
Carbapeneme sind oder waren so etwas wie Reserveantibiotika?
In der Humanmedizin konnte man in den vergangenen Jahren eine ansteigende Verbreitung von ESBL-Keimen beobachten. Diese Erreger sind unempfindlich gegen Penicilline und andere Substanzen, die wir in der Humanmedizin normalerweise in der kalkulierten Therapie einsetzen. Eine Gruppe, die dann noch Wirkung zeigt – was vor allem für Krankenhauspatientinnen und -patienten mit schweren Infektionen relevant ist –, sind die Carbapeneme. Sie sind insofern Reserveantibiotika für sehr ernste Krankheitsverläufe und können auch nur intravenös verabreicht werden. Hier gibt es nun Berichte über Resistenzen. Auch Colistin ist eine Reservesubstanz, die in der Humanmedizin fast gar nicht verabreicht wird. Sie kann wirken, wenn Carbapeneme nicht mehr anschlagen. In der Tiermedizin ist es so, dass Colistin relativ häufig verwendet wird, Carbapeneme hingegen gar nicht.
Innerhalb von #1Health-PREVENT ist ein Schwerpunkt auch die industrielle Nutztierhaltung…
Zum Vorkommen von multiresistenten Erregern arbeiten wir innerhalb unseres Verbundes an zwei Projekten, bei denen wir die Tiere sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Schweine- und Geflügelhaltungen untersuchen. Im Vordergrund steht jedoch eher die Intervention, also: Was lässt sich machen, um Antibiotikaresistenzen gering zu halten? Dazu haben wir beispielsweise ein Projekt in einem großen Schweinestallbereich. Hier versuchen die forschenden Kolleginnen und Kollegen, die Umgebungsflora zu beeinflussen, indem sie künstlich Bakterien ausbringen, die nicht antibiotikaresistent sind, in der Vorstellung, damit Konkurrenz für die multiresistenten Keime zu schaffen. In einem anderen Projekt geht es um die Pferde- und Kleintiermedizin, bei der es auch ein Problem mit Antibiotikaresistenzen gibt. Die Frage ist hier, wie Therapieschemata optimiert werden können, um Antibiotika gezielter einzusetzen oder sogar einzusparen.
Ist man beim Erstellen von Studien über MRE in der industriellen Nutztierhaltung stark auf das Mitwirken dieser Betriebe angewiesen?
Das Thema ist natürlich eine sensible Angelegenheit. Man benötigt hier einen vertrauensvollen Kontakt. Insofern basieren die Studien auf einer guten Kooperation. Die Fachhochschule Südwestfalen, die in anderen Projekten im agrarwissenschaftlichen Bereich tätig ist, hat bei uns im Verbund diese Kontakte. In einem anderen Projekt kooperieren wir auch mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Öffentlichen Gesundheitsdienst wie dem Niedersächsischen Landesgesundheitsamt (NLGA) und dem Niedersächsischen Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES).
Fördert die aktuelle Nutztierhaltung die Entstehung von MRE?
Natürlich beeinflussen die Art und die Dichte der Tierhaltung die Notwendigkeit des Antibiotikaeinsatzes. Anders als in der Humanmedizin ist bei Nutztieren (je nach Art) auch oft eine Behandlung individueller Tiere nicht möglich. Konventionelle Nutztierhaltung bedeutet aber nicht automatisch, dass Hygienebedingungen schlecht seien und Antibiotika exzessiv eingesetzt würden. Gerade in Deutschland hat es insgesamt in den vergangenen Jahren eine Reduktion des Antibiotikaeinsatzes in der Nutztierhaltung gegeben. Wichtig ist aber auch: Multi-resistente Erreger werden nicht nur durch den Einsatz von Antibiotika bei Tieren selektioniert, sondern auch durch den Einsatz in der Humanmedizin.
Wie genau erfolgt die Übertragung von MRE vom Tier auf den Menschen?
Was sehr gut untersucht ist, ist die Übertragung auf Personen, die direkten Kontakt zu Nutztieren, Haustieren oder Pferden haben, also etwa auf den Landwirt oder Tierarzt. Das ist, was in epidemiologischen Studien als Hauptübertragungsweg zwischen Tier und Mensch beschrieben wird. Eine interessante Frage ist darüber hinaus, inwieweit andere indirekte Vektoren eine Rolle spielen, wie zum Beispiel das kontaminierte Fleisch der Tiere. Bei MRSA zeigen Studien, dass eine solche Übertragung wahrscheinlich keinen großen Einfluss bei der Übertragung auf den Menschen hat. Bei den ESBL-Keimen ist dieser Einfluss zwar gegeben, die Mensch-zu-Mensch-Übertragung und Reisen in andere Länder machen jedoch den weitaus größeren Teil der Übertragungen innerhalb der Humanpopulation aus.
Wenn es gelänge, den Einsatz von Antibiotika so zu reduzieren, dass die Vermehrung der resistenten Keime stark gebremst werden würde, würden die Keime dann letztlich verschwinden?
Eine Einschränkung der Antibiotikaanwendung führt zu einem geringeren Selektionsdruck und zu einem Rückgang von Resistenzen. Dafür gibt es sehr viele Beispiele in der Human- und der Veterinärmedizin. Eines habe ich vorhin bereits erwähnt: Bei Rückgang des Antibiotikaeinsatzes in der Nutztierhaltung kann man bereits zeigen, dass bei Erregern in der Stallumgebung Resistenzraten abnehmen. Auch in Krankenhäusern sieht man, z.B. im europäischen Vergleich, ganz deutliche Korrelationen zwischen der Anwendungsdichte von Antibiotika und MRE. Das bedeutet gleichzeitig nicht, dass es plötzlich keine Antibiotikaresistenzen mehr gibt.
Können MRE in alle Richtungen gehen, also vom Tier zum Menschen und zur Umwelt und umgekehrt?
Genau das ist das Hauptproblem. Es ist schwer nachzuvollziehen, wie sich MRE wirklich verbreiten. Nehmen wir als Beispiel Colistin, das in der Humanmedizin kaum, in der Veterinärmedizin häufig etwa bei Durchfallerkrankungen verwendet wird: In der Tierhaltung sind im Laufe der Zeit resistente Varianten von Coli-Bakterien aufgetaucht, die ein besonderes Resistenzgen hatten. Erstmals wurde dieses Gen um 2015 in China beschrieben. Offenbar hat sich dieses Resistenzgen relativ effektiv in der ganzen Welt verbreitet. Auch in den Geflügelfleischproben in Deutschland ist es nachweisbar. Interessanterweise ist es jedoch so, dass diese Resistenz bis jetzt noch nicht in der allgemeinen Bevölkerung in Europa angekommen zu sein scheint, obwohl es dazu bisher wenig Studien gibt. In anderen Ländern wie in China oder südamerikanischen und afrikanischen Ländern taucht es allerdings plötzlich in der Bevölkerung auf. Zum einen kann es also sein, dass der Tierkontakt intensiver ist, dass der hygienische Umgang mit dem Fleisch dort ein anderer ist, oder dass andere Quellen, wie beispielsweise Abwässer und damit die Ausbreitung in der Umwelt, eine entscheidende Rolle für die Besiedlung beim Menschen spielen. Auch bei Reiserückkehrern sehen wir, dass diese häufiger mit den Colistin-resistenten Erregern besiedelt sind, so dass die Situation in anderen Ländern dann doch auch Auswirkungen auf Deutschland oder Europa hat.
Bakterien geben Resistenzen weiter. Wie kann man sich das vorstellen?
Grob gesagt gibt es zwei Wege. Beim MRSA-Keim ist es so, dass das gesamte Bakterium eine Verbreitung hat. So geht zum Beispiel der Landwirt in seinen Schweinestall und kommt dort mit einer starken Staubexposition in Kontakt, er atmet also diesen Staub ein. Ist der Staub MRSA-belastet, hat er die Bakterien auf seiner Nasenschleimhaut, wo die Bakterien sich dann auch ansiedeln. In diesem Fall wurde das gesamte Bakterium übertragen. Das ist die eine Variante. In der anderen Variante kommt es zur Übertragung von Resistenzgenen. Wenn ich beispielsweise eine Form von Coli-Bakterien aufnehme, die in meinem Darm auf andere treffen, können diese untereinander einzelne Resistenzgene austauschen. In einem humanadaptierten Bakterienstamm kann sich dann dieses Gen ausbreiten. Das ursprüngliche, resistente Bakterium ist dann häufig im menschlichen Darm nicht mehr nachweisbar. Die Resistenz ist jedoch weiterhin vorhanden.
Auch bei Wildtieren konnten antibiotikaresistente Bakterien nachgewiesen werden. Wie konnten sich die Bakterien in diesen Tieren anreichern?
Wildtiere sind insofern ganz spannend, da sie ja in der Regel keine Antibiotika erhalten. Hier kommen dann die Umweltquellen ins Spiel. Über die Kontamination von Gewässern wie Seen oder Bächen mit multiresistenten Erregern, sei es durch Abwässer aus Haushalten, der Landwirtschaft oder von Krankenhäusern, können wiederum Wildtiere wie Vögel oder Wildschweine diese Erreger aufnehmen.
Müssen immer neue Antibiotika entwickelt werden, um auf die Resistenzen zu reagieren? Und ist das überhaupt möglich?
Das wird durchaus versucht. Im Rahmen von Forschungsförderungen wurde sie Suche nach neuen Antibiotika auch unterstützt. Natürlich ist es aber immer ein Hinterherrennen. Wenn ein neues Antibiotikum auf den Markt kommt, dauert es meist nur wenige Jahre, bis erste Resistenzen dagegen beschrieben werden.
Gibt es eine Art Notfallantibiotika, die bislang noch nie oder nur ganz selten zum Einsatz gekommen sind?
Es gibt einen Unterschied zwischen Humanmedizin und Veterinärmedizin. In der Humanmedizin haben wir viele Präparate, teilweise auch neu entwickelt, die es uns eigentlich ganz gut ermöglichen, Infektionen durch multiresistente Erreger zu therapieren. Bei MRSA haben wir drei bis vier Substanzen, die wir einsetzen können. Auch bei ESBL-Erregern gibt es zum Beispiel die erwähnten Carbapeneme. Aber es gibt eben auch Bakterien wie die Carbapenemen-resistenten Erreger, wo es dann tatsächlich schwieriger wird. Was Therapie angeht sind diese Erreger die größte Gefahr. In der Veterinärmedizin sind viele der Substanzen, die wir in der Humanmedizin haben, nicht zugelassen. Gerade auch, um sie nicht zu viel einzusetzen, und das Problem mit Antibiotikaresistenzen dadurch zu verschärfen. Darüber hinaus dürfen bestimmte Antibiotika nicht für alle Tiergruppen eingesetzt werden. Das grenzt das antibiotische Armamentarium für Tierärzte noch weiter ein.
Ist die Resistenzbildung von Bakterien so etwas wie eine stille Pandemie?
Für manche Erreger ist das sicherlich so. Was wir aber sehen, sind nationale und regionale Unterschiede. Es kommt auf die Korrelation mit dem Antibiotikaeinsatz und auch auf die Gesundheitssysteme an. Zum Beispiel kommen Carbapeneme-resistente Erreger in Italien und Griechenland seit vielen Jahren extrem häufig vor. Das hat etwas mit dem Antibiotikaeinsatz dort, sprich Selektionsdruck, und mit Übertragungen in Gesundheitseinrichtungen zu tun. Dort sind sie auch ein echtes Problem für Intensivmediziner. In Deutschland ist diese Resistenz noch nicht so weit verbreitet. Der Carbapenemeinsatz ist geringer. Andererseits hat auch Deutschland ein enges Netz von Gesundheits-, Pflege-, und Reha-Einrichtungen, die durch Verlegungen von Patienten untereinander regionale, klonale Ausbreitungen begünstigen. Ganz anders ist das beispielsweise in den Niederlanden. Dort verhindern schon die geringe Zahl von Krankenhäusern und die geringere Inanspruchnahme stationärer Leistungen, dass sich MRE so effektiv ausbreiten. Es kommt daher zu einer weltweiten Verbreitung in unterschiedlichen Ausprägungsgraden.
Vielen Dank für das Gespräch.
Das Gespräch führte Christoph Kohlhöfer