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"Wir wollen das Mikrobiom der Hähnchen mit Bakteriophagen in Zukunft gestalten"

© Sophie Kittler

"Wir wollen das Mikrobiom der Hähnchen mit Bakteriophagen in Zukunft gestalten"

Wenn es um Bakteriophagen, Bakteriozine und organische Säuren geht, ist Dr. Sophie Kittler die richtige Ansprechpartnerin. Mithilfe dieser Substanzen und entsprechenden Verfahren forscht sie daran, Lebensmittelinfektionserreger entlang der Produktionskette zu reduzieren und so die allgemeine Lebensmittelsicherheit zu verbessern. An der Stiftung Tierärztliche Hochschule Hannover leitet sie die Abteilung Lebensmittelmolekularbiologie und Antimikrobielle Verfahren. „Minimierungsstrategien zur Reduktion von Campylobacter entlang der Lebensmittelkette“ heißt ihr Teilprojekt im Konsortium PAC-Campy.

 

In Ihrem Forschungsprojekt geht es um die Reduktion von Campylobacter-Bakterien entlang der Lebensmittelkette. Um welche Lebensmittel geht es denn dabei insbesondere?

Wir haben es bei der Gattung Campylobacter mit Bakterien zu tun, die im Darm von vielen warmblütigen Tieren vorkommen. Die beiden wichtigsten Erreger der humanen Campylobacteriose sind Campylobacter jejuni und Campylobacter coli, die unter anderem in Geflügel, Schweinen und Rindern vorkommen ohne Symptome zu verursachen. Hähnchenfleisch hat aufgrund seiner Herstellungsprozesse und der optimalen Wachstumsbedingungen im Hähnchendarm eine besondere Bedeutung für die Infektion vom Menschen, der im Gegensatz zu den eben genannten Tieren durch eine Infektion mit Campylobacter schwere Enteritiden bekommen kann.

 

Weshalb sind diese Lebensmittel verstärkt einem Campylobacter-Risiko ausgesetzt?

Wenn Campylobacter in die Hähnchenherden gelangt, breiten sich die Bakterien sehr schnell aus. Die Herden sind groß, es handelt sich oft um bis zu 40,000 Tiere und diese sind binnen weniger Tage quasi ausnahmslos in hohen Konzentrationen von bis zu 108 Koloniebildenden Einheiten pro Gramm Darminhalt mit Campylobacter besiedelt. Zusätzlich ist ja auch das Gefieder nicht sauber, sondern aus dem ausgeschiedenen Kot im Stall bildet sich Staub, der Campylobacter enthält und sich auf der Haut und im Gefieder der Tiere festsetzt. Wenn diese Tiere dann zum Schlachthof transportiert und geschlachtet werden, wird eine große Menge der Bakterien in die Schlachtkette eingebracht. Die Bakterien aus dem Darm können dann beim Entnehmen der Organe über versehentlich austretenden Darminhalt auf den Schlachtkörper gelangen. Der Schlachtprozess beim Schwein ist anders aufgebaut, es gibt zusätzliche Schritte des Abflammens, eine stärkere Trocknung der Schlachtkörperoberfläche und die inneren Organe werden auch anders entnommen, wodurch am Ende der Schlachtkette weniger Campylobacter-Bakterien auf den von Schweinen stammenden Lebensmitteln zu finden sind.

 

Wo beginnt die Lebensmittelkette, oder anders gesagt: Wie kommen die Campylobacter-Bakterien ursprünglich in die Lebensmittelkette?

Mit dem Anfang der 2000er in Kraft getretenen neuen EU-Lebensmittelrecht wurde der Ansatz „From Stable to Table“ eingeführt, also die Betrachtung der Lebensmittelkette vom Futter der Tiere über deren Haltung, Verarbeitung bis hin zum fertigen Lebensmittel. Bei Campylobacter ist dieses Konzept extrem sinnvoll, denn die Bakterien treten kurz vor der Schlachtung in den Geflügelherden auf und wenn sie den Sprung in die Ställe erst einmal geschafft haben, dann sind sie kaum aufzuhalten. Allerdings ist es bei Campylobacter etwas paradox: Im Labor stellen sich diese Bakterien als extrem labil und empfindlich gegenüber Umwelteinflüssen dar, wir brauchen spezielle Medien und eine sauerstoffreduzierte Atmosphäre um sie anzuzüchten. In den Geflügelbetrieben dagegen können wir sie nicht aussperren oder entfernen. Sie gelangen immer wieder in die Herden, ohne dass wir genau wissen, woher sie kommen. Damit beschäftigen sich auch zwei Teilprojekte des Konsortiums PAC-Campy an der FU-Berlin, die die Biofilmbildung und gewisse Überlebensstadien untersuchen, in denen Campylobacter eventuell solche Zeiten außerhalb der Tiere überdauern kann.

 

Welche Maßnahmen zur Campylobacter-Reduktion werden denn bereits angewendet?

Da bisher kaum wirksame Maßnahmen zur Reduktion von Campylobacter gefunden werden konnten, die praxisreif sind, beschränkt sich der Handlungsspielraum der Hähnchenmäster fast ausschließlich auf gute Stallhygiene. Stiefel und Kleidung werden beim Betreten von Ställen gewechselt um das Bakterium nicht einzutragen, Geräte werden den einzelnen Ställen fest zugeordnet und ähnliches. Diese Maßnahmen zeigen eine gewisse Wirkung, natürlich nicht nur bei Campylobacter, sondern auch gegenüber anderen Erregern, die Krankheiten beim Geflügel verursachen. Campylobacter tritt allerdings eben trotz dieser Maßnahmen auf und kann dann aus den Hähnchenherden auch nicht mehr verdrängt werden. Im Schlachthof kann die Technik des Ausnehmens, des Rupfens aber auch die Kühlung der Schlachtkörper variiert werden, was einen gewissen Einfluss darauf hat, ob die Bakterien sich am Ende der Schlachtkette auf anderen Schlachtkörpern wiederfinden oder nicht, wie sie sich also im Schlachthof verteilen. Diese Maßnahmen sind aber nicht ausreichend. Die Infektionszahlen sind weiterhin hoch und viele Geflügelprodukte sind mit Campylobacter kontaminiert. Zudem gibt es eine Untersuchungspflicht in den Schlachthöfen und die Untersuchungsergebnisse zeigen, dass Campylobacter bei Geflügelprodukten weiterhin ein Thema ist.

 

Können Campylobacter nicht im Schlachtprozess entfernt werden?

Das ist eine andauernde Diskussion. Wenn sie relativ früh in der Lebensmittelkette bekämpft werden könnten, dann würden wir auch Erkrankungsfälle durch Bakterien verhindern, die schon vor dem Schlachthof vom Geflügel auf den Mensch übertragen werden. Wenn wir aber eine wirksame und verbraucherfreundliche Maßnahme hätten, um kurz vor dem Verpacken des Produktes alle Campylobacter zu entfernen, wäre das natürlich eine extrem wirksame Kontrolle dieses Lebensmittelinfektionserregers. Wir haben eine solche universale Maßnahme aber leider bisher nicht gefunden. Beim Konsumenten ist es dann theoretisch wieder einfach eine Infektion zu verhindern: Geflügelfleisch durchgaren, Fleisch und roh verzehrte Lebensmittel mit unterschiedlichen Küchengeräten zubereiten und die Hände nach der Zubereitung von Fleisch waschen. Damit wäre schon viel erreicht. Aber das so etwas in der Praxis immer schwerer ist großflächig durchzusetzen als man erstmal erwarten würde, ist sicherlich ein Problem. Hier setzen das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) und andere Institutionen mit Verbraucheraufklärung an, was sicher sinnvoll ist. Das war allerdings nicht das Thema unserer Forschung. Hier stand im Vordergrund, dem Verbraucher einfach sichere Lebensmittel zur Verfügung zu stellen

 

Was hat Ihr Forschungsprojekt ergeben? Welche zusätzlichen oder neuen Maßnahmen sind denkbar bzw. sollten umgesetzt werden?

Unsere Idee war alle Maßnahmen, die in der Diskussion sind, zu kombinieren, um viele Hürden aufzubauen, die Campylobacter entlang der Lebensmittelkette passieren muss, wenn es zum Verbraucher gelangen will. Damit könnte man die Konzentration von Campylobacter auf Geflügelprodukten reduzieren. Wir haben Bakteriophagen isoliert, das sind die natürlichen Feinde der Bakterien. Wir haben Bakterien gefunden, die Stoffe mit einer Hemmwirkung gegenüber Campylobacter bilden. Und wir haben eine Vielzahl von Organischen Säuren bei neutralem pH auf ihre Hemmwirkung gegenüber Campylobacter getestet um die Eigenwirkung der Säuremoleküle zu untersuchen. Die wirksamsten organischen Säuren haben wir in einem systematischen Ansatz zu einer Mischung aus vier Säuren kombiniert, die nur noch einen Bruchteil der Konzentrationen enthalten muss, die beim Einsatz der Einzelwirkstoffe nötig wären um Campylobacter zu bekämpfen. Auch aus den Bakteriophagen haben wir die wirksamsten und geeignetsten in einer Mischung zusammengefügt. Das sind zwei Bakteriophagen unterschiedlicher Gruppen, die gemeinsam eine optimale Wirkung auf Campylobacter haben. Bei den Bakterienkulturen mit antimikrobieller Wirkung auf Campylobacter sind wir gerade noch dabei herauszufinden, wie wir hohe Konzentrationen der wirksamen Komponenten gewinnen können.

Wir stellen uns vor, diese Maßnahmen entlang der Produktionskette im Stall, im Schlachthof und am Produkt je nach den Gegebenheiten vor Ort einzusetzen um eine bestmögliche Reduktion des Vorkommens und der Konzentration auf dem Produkt zu erreichen und so das Risiko einer Infektion für den Verbraucher zu senken.

 

Wie sind Sie in Ihrem Forschungsprojekt vorgegangen, um Praxisbedingungen bei der Hähnchenmast einzubeziehen? Sicherlich gab es bei den Betrieben Vorbehalte…

Eigentlich sind die Betriebe sehr interessiert an einer Lösung dieses Problems. Sie sind verantwortlich dafür, sichere Lebensmittel zu produzieren und hätten dafür gern eine einfache Lösung. Wir versuchen bei unseren Untersuchungen die Praxis mit zu denken. Es hilft nichts, wenn wir aufwendige Maßnahmen vorschlagen wie die vollständige Abdichtung der Ställe oder die tägliche Verabreichung unterschiedlicher Bakteriophagen um dann festzustellen, dass das zwar wirksam wäre, aber überhaupt nicht umsetzbar ist.

 

Ihr Forschungsschwerpunkt ist die Entwicklung neuer antimikrobieller Verfahren, wie beispielsweise auch die Weiterentwicklung der Anwendung von Bakteriophagen und organischen Säuren. Können diese in breitem Stil in der Mast angewendet werden?

Organische Säuren werden dem Tränkewasser bereits jetzt häufig zugesetzt, um den Eintrag von Krankheitserregern über das Wasser und damit auch den Einsatz von Antibiotika zu verhindern. Dafür gibt es viele zugelassene Produkte, an deren Inhaltstoffen wir uns orientiert haben als wir unsere Säuremischung zusammengestellt haben. Wir sind jetzt gespannt, wie ihre Wirkung in der Praxis sein wird. Bakteriophagen sind für die Anwendung auf Lebensmitteln zum Teil zugelassen, allerdings in Deutschland bisher nicht für die Bekämpfung von Campylobacter. Wir sehen den Einsatz von Bakteriophagen aber auch eher im Hähnchenstall als sinnvoll an, hier können wir das Mikrobiom der Hähnchen mit Bakteriophagen hoffentlich in Zukunft mitgestalten. Auf dem Lebensmittel ist der Einsatz von Phagen gegen Campylobacter etwas schwieriger, weil die meisten Phagen nur gegen metabolisch aktive Bakterienzellen wirken und sich Campylobacter bei Kühltemperaturen nicht vermehrt. Im Darm der Tiere haben wir durch den Einsatz von Bakteriophagen in kontrollierten Tierversuchen recht gute Reduktionsergebnisse beobachtet, aber sobald wir sie unter Praxisbedingungen anwenden, sind die Ergebnisse nicht mehr so einfach zu reproduzieren. Daran arbeiten wir.

 

Welche neuen Erkenntnisse konnten bislang aus dem Teilforschungsprojekt gewonnen werden?

Unsere Untersuchungsergebnisse deuten darauf hin, dass die Wirkungsstärke der einzelnen Säuren gegenüber Campylobacter sehr unterschiedlich ist und dass durch eine kombinierte Anwendung unterschiedlicher organischer Säuren die Konzentration der Einzelkomponenten deutlich reduziert werden kann, ohne dass die Wirksamkeit der Säurekombination dadurch gemindert wird. Während wir unter Laborbedingungen beispielhaft gezeigt haben, dass Campylobacter sich an den Einsatz von Säuren gewöhnen kann, haben wir im Tierversuch keine Campylobacter-Isolate gefunden, die eine erhöhte Empfindlichkeit gegenüber den eingesetzten Säuren zeigten, also eine Art Resistenz entwickelt hatten. Bei Laboruntersuchungen mit den an Säure angepassten Isolaten zeigte sich, dass diese ein verändertes Wachstumsverhalten aufwiesen und von den säureempfindlichen Ursprungsisolaten verdrängt wurden, wenn diese im Medium anwesend waren. Ähnliche Beobachtungen haben wir in vorhergehenden Studien bei der Anwendung von Bakteriophagen gemacht und auch bei den Bakteriophagen konnten wir zeigen, dass zwei Bakteriophagentypen in einer Mischung die beste Wirkung gegenüber Campylobacter hatten. Das sind natürlich tolle Entdeckungen, die uns große Hoffnung geben, dass wir mit den organischen Säuren und Bakteriophagen nachhaltige Maßnahmen für die Bekämpfung von Campylobacter entwickelt haben. Trotzdem gibt es noch viel zu tun, bis wir den Landwirten eine ausgereifte Bekämpfungsstrategie gegen Campylobacter präsentieren können.

 

Gibt es Publikationen, die sich aus dem Projekt ergeben haben?

Ja, wir konnten zwei Paper zu den im Projekt PAC-Campy isolierten Phagen und zwei Paper zu der Wirkung von organischen Säuren sowie zur Anpassung von Campylobacter an organische Säuren publizieren. Die Versuche zur Wirkung von Phagen und organischen Säuren im Hähnchenmodell sind derzeit im Prozess der Publikation. Außerdem wurde ein Übersichtsartikel zum Einsatz von Bakteriophagen gegen Campylobacter erstellt.

 

Das Interview führte Christoph Kohlhöfer.