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Übertragung von multiresistenten Erregern innerhalb von tiertherapeutischen Maßnahmen?

© Capuski

Übertragung von multiresistenten Erregern innerhalb von tiertherapeutischen Maßnahmen?

Rund 670.000 Menschen erkranken europaweit jährlich an Infektionen durch multiresistente Erreger (MRE) – was auf die Gesundheitssysteme in zweifacher Hinsicht Druck ausübt. Nicht nur dauert die Behandlung der infizierten Menschen länger, sie ist auch kostspieliger. Vor allem im Kontekt und in der Umgebung von Tierhaltung und Mastanlagen treten MRE gehäuft in Erscheinung und stellen so eine zoonotische Infektionsgefahr dar. Doch wie sieht es eigentlich in anderen Bereichen aus, in denen sich Mensch und Tier nahekommen, z.B. im medizinischen Kontext? Das Niedersächsische Landesgesundheitsamt hat ein Forschungsprojekt ins Leben gerufen, um dieser Frage nachzugehen.

Vereinzelt erhielt das Niedersächsische Landesgesundheitsamt in der Vergangenheit Anfragen, ob Tiere in bestimmten medizinischen oder klinischen Einrichtungen erlaubt seien und wie mit ihnen zu verfahren sei bzw. welche Regelungen es für diese Situation gebe. Denn Tiere werden zu therapeutischen Zwecken sowohl in Krankenhäusern und Reha-Kliniken als auch in Alten- und Pflegeheimen eingesetzt. Der Gesichtspunkt der Hygiene ist also durchaus von Bedeutung.

Nach grundlegenden Recherchen mussten die Wissenschaftlerinnen des Niedersächsischen Landesgesundheitsamtes feststellen, dass es teilweise widersprüchliche Vorgaben gibt. Insbesondere in Bezug auf die Belastung dieser Tiere mit resistenten Erregern ließen sich in der Literatur nur wenige und veraltete Daten finden.

Es ist durchaus vorstellbar, dass beim Einsatz von Tieren zu therapeutischen Zwecken ein erhöhtes Risiko der Übertragung von MRE zwischen Tier und Mensch besteht, jedoch existiert bislang auf diesem Gebiet keine fundierte wissenschaftliche Datengrundlage. Das Niedersächsische Landesgesundheitsamt brachte also folgerichtig ein Forschungsprojekt auf den Weg. Der Titel: „Prävalenz multiresistenter Erreger (MRE) bei Tieren in tiergestützten Therapien medizinischer Einrichtungen“. Das Ziel: die entdeckte Datenlücke füllen und dadurch eine bessere Einschätzung bekommen, ob konkreter Handlungsbedarf besteht. Also auch eine Antwort auf die Frage zu finden, ob eventuell striktere Regelungen getroffen werden müssen, was den Umgang mit den Tieren in diesen Einrichtungen angeht. Dazu musste man zu den Tierhaltern und Therapeuten.

Zwei mögliche Übertragungswege sind bei Mensch-Tier-Kontakten denkbar. Zum einen kann ein Tier, das als asymptomatischer Träger vollkommen unauffällig sein kann, einen Erreger auf einen Menschen übertragen. Dies wird vor allem relevant, wenn das Tier im Rahmen der Therapie auf immunsupprimierte Personen trifft.

Aber auch der umgekehrte Weg muss berücksichtigt werden. So können beispielsweise Methicillin-resistente Staphylokokken (MRSA) vom Menschen auf das Tier übertragen werden. Das Tier wird dann erst durch den Menschen, der in der medizinischen Einrichtung betreut wird, zum Träger dieser Keime und kann so selbst eventuell gesundheitliche Nachteile erleiden oder den Erreger wiederum auf andere Menschen übertragen.

Und dann kam die Corona-Pandemie.

„Genau in dem Moment, in dem wir startklar waren, begann die starke Verbreitung von SARS-CoV-2“, sagt Dr. med. vet. Sonja Wolken. Damit war klar: Der Plan, das Projekt über die lokalen Gesundheitsämter in die jeweiligen Einrichtungen zu tragen, konnte nicht verwirklicht werden. Auch weil weder die Projektmitarbeiter, noch die Personen, die mit ihren Tieren die Therapiemaßnahmen durchführen, die Einrichtungen besuchen konnten. Ein anderer Weg, den Kontakt zu Therapeuten und Tierhaltern herzustellen und die Tiere zu beproben, musste gefunden werden.

Denn, wie findet man heraus, wie häufig Begegnungen stattfinden? Welche Tiere werden eingesetzt? Wie wird mit diesen Tieren umgegangen? Welche Hygienevorgaben gibt es? Was haben die Tiere für eine Ausbildung? Welche Ausbildung liegt bei den Besitzern vor? Um Antworten auf solche Fragen zu erhalten, anhand derer eine weitere Arbeit möglich ist, musste das Projekt umgestaltet werden. Nach wie vor ging es darum, eine belastbare Auswertung zu schaffen.

Die Studienleiterinnen fanden schnell eine Lösung: das Stichwort lautet Digitalisierung.

„Wir haben unser Projekt also digitalisiert. Das Ziel war es, direkt die tiergestützt arbeitenden Personen zu erreichen“, so Wolken. Über eine Online-Plattform wurde ein zuvor entwickelter Fragebogen zugänglich gemacht. In kleinteiliger Einzelarbeit mussten dann die entsprechenden Personen in ganz Niedersachsen recherchiert und individuell kontaktiert werden. Zum einen wurden sie gebeten an der Befragung teilzunehmen und ihre Tiere beproben zu lassen, zum anderen erhielten sie das Angebot einer Behandlungsberatung, falls bei der Beprobung multiresistente Erreger nachgewiesen worden wären. Das Angebot der Beprobung stieß jedoch auf Zurückhaltung bei den Tierhaltern.

Erschwerend für das Forschungsprojekt kam die zeitliche Länge der Pandemie hinzu: Je länger die Tiere nicht in den medizinischen Einrichtungen waren, desto weniger zielführend erschien ihre Beprobung, da ein Erregerstatus über die Zeit wieder verloren gehen kann. Ein Tier, das noch vor wenigen Monaten besiedelt war, könnte dies bei der späten Beprobung schon nicht mehr sein.

Der Schwerpunkt des Projekts lag folglich auf der Datensammlung durch den entwickelten Fragebogen. Die Rückmeldungen werden aktuell noch analysiert. Auf deren Grundlage soll eine umfangreiche Handreichung entstehen, die sich sowohl an tiergestützt arbeitende Personen als auch an Gesundheitsämter, die zukünftig eventuell mit dem Thema konfrontiert werden, richtet.

„Zwar werden tiergestützte Therapien immer populärer, ist aktuell sind sie jedoch für Gesundheitsämter noch ein Randthema. Die Handreichung wird eine gute Informations- und Orientierungsgrundlage darstellen, um sich in dieses Thema einzuarbeiten“, so Wolken.

Erste Ergebnisse zeigen: Rund 70 Prozent der Tiere, die in diesen Einrichtungen eingesetzt werden, erhalten Rohfleischprodukte, wozu auch Snacks wie Ochsenziemer oder getrocknete Schweineohren gehören. Hierdurch besteht das erhöhte Risiko einer Infektion mit zoonotischen Erregern, wie z.B. Salmonellen. Darüber hinaus kann, insbesondere durch die Fütterung von rohen Schweine- und Geflügelprodukten, eine Übertragung von multiresistenten Erregern stattfinden.

Die Umfrage hat zudem deutlich gemacht, dass dem Infektionsweg Mensch-zu-Tier weniger Beachtung geschenkt wird. So achten mehr als 90 Prozent der Befragten darauf, dass sich ihre Klienten nach dem Kontakt mit dem Tier die Hände waschen. Vor dem Tierkontakt lassen jedoch nur rund 40 Prozent diese Hygienemaßnahme durchführen.

Weiterhin zeigt sich, dass eine Dokumentation der Therapiesitzungen nicht immer konsequent erfolgt. „Nach aktuellem Kenntnisstand ist es nicht zielführend, Therapietiere routinemäßig auf bestimmte resistente Erreger zu untersuchen“, so Wolken, „in einem Ausbruchsgeschehen sollte allerdings in Betracht gezogen werden, dass Therapietiere an Infektionsketten beteiligt sein können und dann sollten diese auch beprobt werden.“ Um Infektionswege nachvollziehen zu können, ist daher eine lückenlose Dokumentation der Kontakte wichtig.

So konnte zwar einerseits das Forschungsprojekt nicht wie geplant umgesetzt werden, andererseits konnten Daten gewonnen werden, die die Grundlage der Erstellung einer Handreichung darstellen. Dies wiederum trägt entscheidend zu einer Sensibilisierung für das Thema bei.