Skip to main content

Das Virus der „hitzigen Kopfkrankheit“

© Ralph Häusler (Pixabay)

Das Virus der „hitzigen Kopfkrankheit“

Viele Jahre ging man davon aus, dass Bornaviren vermutlich nicht humanpathogen, also nicht auf den Menschen übertragbar, sind. Vor fünf Jahren wurde jedoch ein neues Bornavirus entdeckt, das drei Todesopfer in Sachsen-Anhalt forderte. Nachträgliche Forschungen ergaben, dass auch das klassische Bornavirus sporadisch auf den Menschen übertragen wurde – und einige Menschenleben kostete.   

 

Die behandelnden Ärzte standen vor einem Rätsel. Sie konnten nicht einmal nachweisen, welcher Erreger für den Ausbruch der Krankheit verantwortlich war. Nur dass eine schwere Entzündung des Gehirns zum Tod der drei Patienten geführt hatte war offensichtlich. Zwischen zwei und vier Monaten lagen sie auf der Intensivstation, fielen trotz intensiver Behandlung ins Koma und verstarben schließlich. Nicht nur der gleiche Krankheitsverlauf und der regionale Zusammenhang ließen aufhorchen, sondern auch ihre exotische Leidenschaft: Alle drei kannten sich, züchteten die normalerweise in Mittelamerika und Mexiko vorkommenden Bunthörnchen und tauschten untereinander Tiere aus.

2015 kam eine Forschergruppe um den Virologen Prof. Dr. Martin Beer vom Friedrich-Loeffler-Institut dem Erreger auf die Spur. Nachdem sie Gewebeproben von Patienten und Bunthörnchen untersuchten, stießen sie auf ein bis dato unbekanntes Virus. Die Analyse des Genoms zeigte, dass sie es mit einem neuartigen Bornavirus zu tun hatten. Sie tauften es VSBV-1 (Variegated Squirrel Bornavirus 1).

Das bereits zuvor bekannte Bornavirus BoDV-1 (Borna Disease Virus 1) ist seit Langem als Krankheitsauslöser bei Pferden und Schafen bekannt: Nachdem 1894 ein ganzer Stall von Kavalleriepferden einer mysteriösen Erkrankung zum Opfer fiel, wurde sie Borna‘sche Krankheit genannt, nach der sächsischen Stadt Borna, in der sich der Pferdestall befand. 1935 wurde der Erreger schließlich identifiziert, zu Beginn der 90er-Jahre sein Genom entschlüsselt. Aufgrund ihrer Symptome ist die Tierseuche auch als „hitzige Kopfkrankheit“ bekannt. Denn sie befällt das Gehirn und Rückenmark, kann so Lähmungen, Orientierungslosigkeit, Depressionen, Apathie und Spasmen auslösen und führt in der Mehrzahl aller Fälle zum Tod.

Seit ihrer Entdeckung ging man davon aus, dass die Borna‘sche Krankheit eine reine Tiererkrankung und BoDV-1 nicht humanpathogen, also auf den Menschen übertragbar, sei. Bis vor zwei Jahren. Denn 2018 gelang der direkte Nachweis von BoDV-1 bei drei an einer Gehirnentzündung gestorbenen Menschen.

Und das war noch nicht alles: Das Verbundprojekt ZooBoCo (Zoonotic Bornavirus Consortium), das Teil des Forschungsnetzes Zoonotische Infektionskrankheiten ist, fand in einer Studie heraus, dass seit 1995 mindestens 14 Menschen – zuletzt Ende 2019 ein elfjähriges Kind – nachweislich an einer Gehirnentzündung verstarben, die durch BoDV-1 verursacht wurde. Alle Altersgruppen und auch beide Geschlechter waren davon betroffen. Damit ist offensichtlich, dass die Infektion mit Bornaviren auch als eine menschliche Erkrankung angesehen werden muss. Sowohl VSBV-1 als auch BoDV-1 sind humanpathogen.

Koordiniert wird ZooBoCo von Prof. Dr. Martin Beer, der auch bereits an der Entdeckung des Bunthörnchen-Bornavirus beteiligt war. Weiterhin forschen innerhalb des Projekts Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Friedrich-Loeffler-Instituts, des Universitätsklinikums Freiburg, der Universität des Saarlandes, der Justus-Liebig-Universität Gießen, des Bernhard-Nocht-Instituts für Tropenmedizin, des Robert Koch-Instituts und des National Institute of Allergy and Infection in den USA.  

Bei allen untersuchten Todesfällen ist nicht geklärt, wie das Bornavirus auf die Patienten übertragen wurde. Zwar berichteten Bunthörnchen-Züchter auch von Kratzern und Bissen durch ihre Tiere, ob diese allerdings für die VSBV-1-Infektion verantwortlich waren, ist offen. Ebenso fraglich ist die Übertragung bei den BoDV-1-Fällen. Das Reservoir von BoDV-1, also das Tier, in dem das Virus zirkuliert, ist die Feldspitzmaus. Sie selbst erkrankt nicht an der Infektion, trägt das Virus allerdings nach einer Infektion ihr gesamtes Leben in sich. Über ihre Ausscheidungen wie Urin, Kot und Speichel verbreitet sie das Virus weiter.

Möglicherweise sind diese Ausscheidungen auch für die nachgewiesenen Infektionen beim Menschen ursächlich. Denn eine direkte Mensch-zu-Mensch-Übertragung oder eine Übertragung von „Nicht-Reservoirtieren“ auf den Menschen ist bisher nicht nachweisbar und scheint weitestgehend ausgeschlossen. Auffällig ist, dass die BoDV-1-infizierten Patienten oft sehr ländlich lebten. Eventuell ist also eine Infektion bei Garten- oder Waldarbeiten möglich. Endemisch ist das Virus besonders in Bayern, Thüringen und Sachsen-Anhalt sowie in grenznahen Regionen dieser Bundesländer. Auch Teile Österreichs, Liechtensteins und der Schweiz sind betroffen. In anderen Teilen Europas oder der Welt gibt es bisher keine bestätigten Nachweise von BoDV-1.

Nach momentanem Wissenstand scheint das Infektionsrisiko für den Menschen also relativ gering. Eine Infektion allerdings dürfte zumeist tödlich enden. Denn eine spezielle Therapie gegen die Erkrankung gibt es nicht.

 

Quellen:

  • https://www.fli.de/de/institute/institut-fuer-virusdiagnostik-ivd/labore-arbeitsgruppen/labor-fuer-phylogenetische-analysen-schwerpunkt-influenzaviren-und-bornaviren/
  • https://www.fli.de/de/aktuelles/tierseuchengeschehen/bornaviren/
  • https://zooboco.fli.de/de/zoonotic-bornavirus-consortium/
  • https://www.mdr.de/wissen/umwelt/pferde-borna-virus-100.html
  • https://www.aerzteblatt.de/archiv/211348/Bornavirus-Infektionen-Hohe-Letalitaet-durch-fulminante-Meningoenzephalitiden
  • https://www.aerztezeitung.de/Medizin/Erkrankungen-mit-Bornaviren-erstmals-belegt-226365.html
  • https://www.bmbf.de/de/feldspitzmaeuse-koennen-toedliches-bornavirus-uebertragen-10601.html
  • https://www.spiegel.de/gesundheit/diagnose/bornavirus-drei-todesfaelle-in-deutschland-a-1200035.html

Koordinationsbüro

c/o Institut für Virologie Charité - Universitätsmedizin Berlin
Campus Charité Mitte
Charitéplatz 1, 10117 Berlin