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"Bei Bornaviren war man auf der falschen Fährte"

© Friedrich-Loeffler-Institut

"Bei Bornaviren war man auf der falschen Fährte"

Das Friedrich-Loeffler-Institut auf der Insel Riems ist weltweit für seine Forschungen bekannt. Prof. Dr. Martin Beer leitet das dortige Institut für Virusdiagnostik. Darüber hinaus ist er mit dem Verbundprojekt ZooBoCo (Zoonotic Bornavirus Consortium) Teil des Forschungsnetzes Zoonotische Infektionskrankheiten – und untersucht damit das Bornavirus. Im Interview berichtet er über die neuesten Erkenntnisse. 

 

Mit dem Forschungsverbund ZooBoCo konnten Sie 14 Enzephalitis-Patienten, die zwischen 1995 und 2019 an dem Bornavirus BoDV-1 erkrankt waren und verstarben, ermitteln. Wie kam es zu dieser Studie?

Wir haben 2015 erstmals beschrieben, dass Bornaviren – in diesem Fall war es das neu entdeckte Bornavirus der Bunthörnchen (Variegated Squirrel Bornavirus 1, VSBV-1) – offenbar zoonotischen Charakter haben können. In Sachsen-Anhalt verstarben damals drei Bunthörnchen-Züchter. Über Metagenomanalysen haben wir in einem der Bunthörnchen und dann auch in Proben der verstorbenen Züchter das neue Bornavirus gefunden. In der Wissenschaft diskutierte man zuvor über Jahre hinweg, ob das klassische Bornavirus (Borna Disease Virus 1, BoDV-1) humanpathogen ist und zu weit verbreiteten psychischen Veränderungen führen kann. Die Forschung in diese Richtung wurde dann allerdings weitgehend eingestellt, da eine internationale Expertengruppe zusammen mit dem Robert Koch-Institut auf Basis umfangreicher Studien zu dem Schluss gelangte, dass die bis dahin vorgelegten vermeintlichen Beweise dafür auf Laborartefakten beruhten. Doch dann folgte die Entdeckung des neuen, erwiesenermaßen zoonotischen Bunthörnchen-Bornavirus. Das war dann auch der Ursprung unseres Projektes ZooBoCo. Eine unserer Ausgangsfragen war, warum für das klassische Borna Disease Virus 1 trotz umfangreicher Studien bisher keine solche Fälle bestätigt werden konnten, obwohl das Virus grundsätzlich offenbar die meisten anderen Säugerspezies infizieren kann. Wurde vielleicht bisher mit den falschen Mitteln und an den falschen Stellen danach gesucht? Bald nach dem Start von ZooBoCo wurden wir mit einer weiteren Anfrage konfrontiert. Drei Menschen waren nach einer Organtransplantation an einer schweren Enzephalitis erkrankt, zwei davon verstarben. Alle drei hatten Organe vom selben Spender erhalten. In den von uns untersuchten Gewebeproben der Verstorbenen haben wir daraufhin zu unserer eigenen Überraschung große Virusgenommengen des klassischen Bornavirus BoDV-1 gefunden, sodass wir sagen konnten, dass sie höchst wahrscheinlich an einer BoDV-1-Infektion verstarben. Auch der Überlebende hatte sehr hohe Antikörpertiter gegen Bornaviren entwickelt. Plötzlich stand wieder die Frage nach dem zoonotischen Potenzial und der Übertragbarkeit des klassischen BoDV-1 auf den Menschen im Raum. Diese war bisher offenbar tatsächlich übersehen worden. Die Folge war die von Ihnen erwähnte Studie.

 

Weshalb wurden diese untersuchten Fälle ausgewählt?

Wir wussten, dass eine Infektion mit dem BoDV-1 bei den bekannten Fehlwirten (z.B. Pferd und Schaf) meistens tödlich verläuft und dass es sich beim Krankheitsbild um eine virale Enzephalitis handelt. Also suchten wir nach tiefgefrorenen Proben von Personen, die an einer ungeklärten Enzephalitis erkrankt waren. Im Schwerpunkt konnten wir hier mit der Universität Regensburg zusammenarbeiten. Glücklicherweise waren dort mehr als 50 solcher Proben archiviert, davon knapp 20 von tödlichen Verläufen. Etwa die Hälfte dieser Proben stammte von Patienten, bei denen keine andere Ursache gefunden wurde, also kein anderes Virus, keine bakterielle Ursache, keine Autoimmunerkrankung. Hier haben wir dann bei einem Teil tatsächlich klassische Bornaviren nachgewiesen. Auffällig war, dass wenn man nur die verstorbenen Patienten aus der Gruppe der Enzephalitisfälle mit unklarer Ursache betrachtet, die Nachweisrate in der Studie bei fast 80% lag (7 von 9). Damit war auch klar: Dieses Virus hatte man beim Menschen bisher offenbar übersehen. Auch wenn man das Virus schon 20 Jahre zuvor z.B. mittels Antigenfärbung an histologischen Schnitten hätte nachweisen können, wurden Bornaviren nicht mit einer tödlichen Enzephalitis beim Menschen in Verbindung gebracht, obwohl dies das typische Krankheitsbild bei infizierten Tieren, außer dem Reservoirtier, der Feldspitzmaus, ist. Damit war die Forschung wieder auf dem richtigen Weg, sozusagen „back on track“. Wir sind jetzt wieder auf der richtigen Fährte.

 

Was gewissermaßen auch das Fazit der Studie ist.

Unsere Quintessenz ist: Bornaviren der Säugetiere (VSBV-1 und BoDV-1) sind zoonotisch. Zum Glück ist die Infektion des Menschen mit einem Bornavirus ein sehr seltenes Ereignis. Aber sowohl das lang bekannte BoDV-1 als auch das neue VSBV-1 können auf den Menschen übergehen. Und die Letalitätsrate ist dann offenbar enorm. Wenn man also die Infektion hat, dann ist die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, daran zu versterben.

 

Reservoirtier des BoDV-1 ist eindeutig die Feldspitzmaus?

BoDV-1 wurde bisher, auch im Rahmen der Reservoirwirt-Studien des ZooBoCo-Verbunds, nur in Feldspitzmäusen gefunden. Durch phylogenetische Studien haben wir die Zusammenhänge noch weiter gefestigt. Es ist tatsächlich die Feldspitzmaus, die das klassische Bornavirus überträgt. Wir finden beim Menschen genau die Viruscluster, die wir in der gleichen Region bei infizierten Tieren und dem Reservoirwirt, der Feldspitzmaus, ausmachen. Für Bornaviren ist der Mensch nicht anders als andere Fehlwirte. Das heißt, außer dem jeweiligen Reservoirwirt, also der Feldspitzmaus für BoDV-1 oder Hörnchenarten für das VSBV-1, erkranken die meisten anderen infizierten Tiere und auch der Mensch mit einer hohen Sterblichkeit.

 

Warum konnte BoDV-1 bisher nur in bestimmten Regionen nachgewiesen werden oder besser: Weshalb kommt es nur in diesen Regionen vor?

Zum einen kann BoDV-1 nur dort, wo auch sein Reservoirwirt, die Feldspitzmaus, vorkommt gefunden werden. Zudem scheint sich das Virus auch innerhalb der Feldspitzmauspopulationen bisher nicht sehr weit verbreitet zu haben. Das Verbreitungsgebiet von BoDV-1 ist daher beschränkt, und das ist ein Glücksfall. Betroffene Gebiete finden sich in Deutschland besonders im Süden und Osten (z.B. Bayern und Sachsen-Anhalt) sowie in Teilen Österreichs, der Schweiz und Lichtensteins. Die Feldspitzmaus kommt dagegen zum Beispiel in Teilen Nord- und Westdeutschlands (z.B. Schleswig-Holstein oder dem Westen Niedersachsens und NRWs) so gut wie nicht vor. Allerdings findet man Feldspitzmäuse auch in Ländern wie Italien, Frankreich oder Tschechien ohne dass es dort bisher Nachweise von BoDV-1 gibt. Zwei Dinge lassen sich festhalten: Zum einen muss der Reservoirwirt vorhanden sein, zum anderen muss nicht überall, wo der Wirt vorkommt, auch Borna auftreten. Weshalb das so ist, können wir leider noch nicht sagen.

 

Wo kommt das Hörnchen-Bornavirus VSBV-1 her?

Das ist eine Frage, die wir in unserem Forschungsverbund klären wollen. Unsere einheimischen Eichhörnchen sind negativ getestet worden, sie sind nicht von einer Bornavirus-Infektion betroffen. Es handelt sich bisher ausschließlich um exotische Hörnchen, die importiert wurden – entweder Schönhörnchen aus Asien oder Bunthörnchen aus Mittel- und Südamerika. Beide sind infizierbar, beide verhalten sich wie ein Reservoirwirt. Sie werden selber nicht krank, scheiden aber das Virus aus. Wir wissen aber bisher nicht, welche der exotischen Hörnchenarten das Virus nach Deutschland mitgebracht hat. In diesem Jahr wollten wir in die entsprechenden Länder fahren, um dort nach positiven Hörnchen zu suchen. COVID-19 hat uns da aktuell einen Strich durch die Rechnung gemacht.

 

Gibt es eventuell bestimmte Umweltbedingungen, unter denen sich das Virus verstärkt ausbreiten könnte?

Wir sehen ganz deutliche Cluster. Mindestens fünf Bornavirus-Cluster konnten bisher ausgemacht werden. Und dabei handelt es sich um sehr stabile genetische Cluster, die sich regional zuordnen lassen. Ein Cluster in Brandenburg unterscheidet sich z.B. genetisch von einem Cluster in Bayern. Innerhalb eines Clusters scheinen sich die Viren kaum zu verändern. Es muss sich also um ein sehr langsam veränderndes RNA-Virus handeln und die Viruscluster vermischen sich kaum. Wir denken deshalb, dass diese Cluster unter Umständen schon sehr lange durch regionale Grenzen getrennt sind. Das Virus scheint sich sehr langsam auf eine neue Population auszubreiten. Selbst wenn wir uns im gleichen Cluster ein Virus von vor mehr als 20 Jahren ansehen, dann hat es sich bis heute kaum verändert. Wenn man jedoch in eine andere Region geht, findet sich ein anderes Cluster. Regionale Umweltbedingungen und die sehr territoriale Lebensweise seines Reservoirwirts könnten dabei eine Rolle spielen. Auf jeden Fall erlauben uns diese Cluster, vorsichtige Vermutungen darüber anzustellen, wo die Infektionsquelle für einen humanen Fall gelegen haben könnte, also ob er sich eher in der Umgebung seines Heimatorts oder z.B. während einer Reise infiziert haben muss. In fast allen bisherigen Fällen scheint ersteres der Fall gewesen zu sein.

 

Was ist der Unterschied zwischen den Bornaviren BoDV-1 und VSBV-1?

Die Viren sind genetisch unterschiedlich, verhalten sich ansonsten aber sehr ähnlich. Auch serologisch sind sie sehr stark kreuzreagierend. Die Antikörpernachweise funktionieren bei beiden nahezu gleich. Genetisch weisen die beiden Viren eine Unterschiedlichkeit von circa 30 Prozent auf. Man kann sie also ganz deutlich in eine eigene Spezies einteilen. In Kooperation mit den Rocky Mountain Laboratories wurden VSBV-1- mit BoDV-1-Infektionen verglichen: Bei Affen wurden die Viren intrakranial, also direkt in die Schädelhöhle, inokuliert. Alle Tiere wurden krank, bei VSBV-1 allerdings später. Es scheint so zu sein, dass das Hörnchen-Bornavirus etwas weniger schnell zu einer tödlichen Enzephalitis führt.

 

Könnte es in anderen Tieren neuartige oder bislang unbekannte Bornaviren geben?

Neben BoDV-1 und VSBV-1 gibt es noch BoDV-2, das Borna Disease Virus 2, das bislang nur ein einziges Mal bei einem erkrankten Pferd in der Steiermark nachgewiesen wurde. Ob es darüber hinaus weitere Säugetier-Bornaviren gibt, können wir nicht sagen. Beim Vogel ist es momentan so, dass zahlreiche Bornaviren beschrieben wurden und noch immer werden. Für ein zoonotisches Potenzial dieser Viren gibt es jedoch keine Hinweise. Es gibt zudem Entdeckungen von Bornaviren in Reptilien. Aufgrund der neuen Analysemöglichkeiten, z.B. durch Metagenomanalysen, werden immer mehr neue Bornaviren gefunden und weitere Bornaviren bei Säugetieren sind nicht ausgeschlossen.

 

Ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass es viele unentdeckte Todesfälle bei Menschen gibt, die an Gehirnentzündungen starben, verursacht durch Bornaviren?

Ich würde es so formulieren: Eine nichterklärliche tödlich verlaufende Enzephalitis in einem Endemiegebiet könnte durchaus mit Bornaviren zusammenhängen. Unsere Hauptforderung war zum einen, das Vorkommen von Bornaviren beziehungsweise die Erkrankung durch die Viren meldepflichtig zu machen. Das ist jetzt erfolgt. Sowohl die Fälle beim Tier als auch beim Menschen sind seit diesem Jahr meldepflichtig. Wir können also endlich verfolgen, wo Fälle bei Tieren vorkommen und wo die Gebiete sind, in denen offensichtlich eine Virusübertragung stattfindet. Zum anderen fordern wir, dass in Endemiegebieten, also überall dort, wo man weiß, dass Bornaviren vorkommen, bei Patienten eine Differentialdiagnose vorgenommen werden sollte. Also wenn jemand eine schwere unerklärliche Enzephalitis hat, sollte dringend auch auf Bornaviren getestet werden.

 

Eine Behandlung gibt es aber momentan nicht…

Im Moment gibt es leider keine Behandlungsoption. Die Kollegen in Freiburg testen im Rahmen von ZooBoCo antivirale Substanzen. Das Problem ist jedoch: Das Virus muss im Gehirn erreicht werden. Das ist nicht einfach. Die Erkrankung beruht auf einer Immunpathogenese, das heißt, nicht das Virus zerstört den Körper, sondern der Körper bekämpft virusinfizierte Zellen mit seinen T-Zellen. Dabei zerstört er im Gehirn infizierte Zellen wie Neuronen und Gliazellen. Radiologisch betrachtet scheinen die Läsionen der Creutzfeldt-Jakob-Krankheit zu ähneln.

 

Weshalb dringt das Virus ins Gehirn und Rückenmark vor?

Das Virus hat einen ganz starken Neurotropismus. Die Vermehrung findet fast ausschließlich in diesen Geweben statt. Auch im Reservoirwirt ist das Virus hauptsächlich in den Bereichen, in denen die meisten Nervenzellen sind zu finden, also im Gehirn und Rückenmark. Anders als bei Menschen oder anderen Fehlwirten kommt es im Reservoir aber auch in den Nieren oder der Haut vor und wird z.B. über den Urin oder Speichel ausgeschieden.

 

Ist eine Übertragung von Mensch zu Mensch möglich?

Nur die Reservoirwirte scheiden das Virus aus, z.B. im über Speichel oder Urin, und in der Spitzmaus kann man BoDV-1 auch in der Haut finden. Die Ausscheidungsmengen sind nicht besonders groß, dennoch handelt es sich um infektiöses Virus. Bei Fehlwirten wie Pferden, Schafen oder dem Menschen ist diese Virusausscheidung und damit das Risiko einer Weiterverbreitung nicht vorhanden. Von Mensch zu Mensch oder auch von Tier zu Mensch, mit Ausnahme des Reservoirtiers, wird das Virus nicht weitergegeben. So kann ein an Borna erkranktes Pferd weder ein anderes Pferd noch einen Menschen infizieren. Das ist dabei die gute Nachricht.  

 

Die Feldspitzmaus ist das Reservoirtier für BoDV-1. Könnte nicht auch die Zecke ein Vektor sein, wenn sie zuvor eine infizierte Maus für ihre Blutmahlzeit genutzt hat?

Dazu gibt es bisher überhaupt keinen Hinweis. Interessant ist aber schon, dass die Verbreitungsgebiete zumindest in Deutschland von FSME (Frühsommer-Meningoenzephalitis, Anm. d. Red.) und Borna ähnlich sind. Die Frage, ob Zecken bei der Übertragung von Spitzmaus zu Spitzmaus eine Rolle spielen könnten, haben wir innerhalb unserer Arbeitsgruppe diskutiert. Wir schauen uns alles genau an. Ich glaube jedoch nicht, dass Zecken hier eine Funktion haben. Im ZooBoCo-Verbund wollen wir die Übertragungswege und die Ausbreitung zukünftig genauer untersuchen.

 

Vor allem in den 90er-Jahren hatten einige Wissenschaftler das Bornavirus in Verdacht beim Menschen Depressionen oder andere psychische Krankheiten auszulösen. Ist von diesem Verdacht heute noch etwas übriggeblieben?

Wir haben keine Hinweise, die diesen Verdacht wirklich erhärten. Innerhalb unserer Forschung untersuchen wir die schwere Erkrankung der Gehirnentzündung. Bei den Verstorbenen finden wir massenhaft Virus, und zumeist hohe Antikörpertiter. Die früheren Studien fanden in humanen Verdachtsproben minimale Spuren von RNA. Später zeigte sich, dass es sich dabei um Laborkontaminationen gehandelt hatte. Die neu aufkommenden Sequenzierungsmethoden bestätigten, dass es Laborviren waren, die damals nachgewiesen wurden. Unsere aktuellen Ergebnisse haben eine ganz andere Eindeutigkeit, die auch hervorragend zu den Bornavirusinfektionen bei Tieren passen. Der Mensch verhält sich bei einer Infektion mit Bornaviren sehr ähnlich wie ein Pferd oder Schaf. In der Anfangsphase einer Infektion beim Menschen wurden beispielsweise von Erschöpfung, aber auch Wesensveränderungen oder Aggression berichtet, die dann später in eindeutige neurologische Symptome, wie Sprachstörungen oder Lähmungen übergingen, bevor Koma und der Tod eintraten. Verhaltensänderungen sind auch für die Frühphase der Borna‘schen Krankheit beim Pferd oder Schaf bekannt.

 

Das Gespräch führte Christoph Kohlhöfer

Koordinationsbüro

c/o Institut für Virologie Charité - Universitätsmedizin Berlin
Campus Charité Mitte
Charitéplatz 1, 10117 Berlin